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Die Tochter der Wanderhure

Titel: Die Tochter der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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immer nur Michels Befehle ausgeführt. Er hat nicht die Fähigkeiten eines Ingold von Dieboldsheim, der damals, als Michel mich für tot hielt, Kibitzstein beinahe allein geführt und ausgebaut hat. Michel und ich haben es diesem Mann zu verdanken, dass Kibitzstein so gut dasteht.«
    Sie sah ihre Freundinnen und auch Trudi fragend an. »Habt ihr bessere Vorschläge?«
    »Es wäre alles leichter, wenn Gressingen erschiene und um Trudi anhalten würde. Er ist in dieser Gegend gut bekannt und könnte dir die Stütze sein, die du brauchst«, erklärte Alika.
    Trudis Augen leuchteten auf. Marie aber wiegte den Kopf. Gressingen war nicht gerade der Schwiegersohn, den sie sich gewünscht hätte. Andererseits musste sie Alika zustimmen. DieUnterstützung durch einen angesehenen Ritter wäre die Lösung vieler Probleme. Aber Gressingen weilte irgendwo in der Ferne, und nichts deutete darauf hin, dass er so rasch erscheinen würde. Sie musste einen anderen Ausweg finden.
    »Was haltet ihr davon, wenn ich Michi zurückhole? Er hat die Herrschaft Kessnach im Odenwald in den letzten Jahren allein verwaltet und weiß daher, wo er zugreifen muss. Ihm traue ich zu, Kibitzstein im Griff zu behalten.«
    »Wenn du meinen Sohn über ihn setzt, wäre Karel gekränkt«, wandte die Ziegenbäuerin ein.
    »Ich werde Michi nicht über ihn setzen, sondern Karel statt seiner nach Kessnach schicken. Dort kann er lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.«
    »Das wird er bestimmt.« Trudi atmete auf. Auch wenn sie Karel mochte, so traute sie Michi doch weitaus mehr zu.
    Als Kastellan auf Kessnach würde Reimos und Zdenkas Sohn nicht so viele Verpflichtungen haben. Kibitzstein war weitaus schwieriger zu verwalten, denn zu dieser Burg gehörten ein weitaus größerer Herrschaftsbereich und auch jene Dörfer und Gerechtsame, die ihre Eltern als Pfand bekommen hatten und die nun als Erstes vor räuberischen Händen bewahrt werden mussten.
    »Ja, so werde ich es machen«, sagte Marie nach kurzem Nachdenken. »Ich bin so froh, euch zu haben! Ihr habt mir sehr geholfen.«
    Sie schenkte ihrer Tochter und ihren beiden Freundinnen einen dankbaren Blick. Die drei hatten recht. Sie durfte sich nicht in die Trauer um Michel vergraben, sondern musste alles tun, um sein Vermächtnis zu erfüllen. Die Starre auf ihrem Gesicht wich einem melancholischen Ausdruck, und dann schlug sie die Faust in die geöffnete Hand. Sie würde dafür sorgen, dass Falko einst die Stelle seines Vaters einnehmen konnte, und wenn sie sich dafür gegen die ganze Welt zur Wehr setzen musste.
    Die Ziegenbäuerin nahm die Veränderungen in der Miene ihrer Freundin wahr und atmete auf. Das war die Marie, die sie kannte und die sogar dem Teufel die Stirn bot, wenn es notwendig war. Nun würden der Bischof von Würzburg und alle anderen, die sich an Kibitzstein vergreifen wollten, sich wundern. Was Marie zu leisten vermochte, hatte sie selbst miterlebt.
    Obwohl sie unaufgefordert in Maries Kammer getreten war, bat Trudi artig, sich entfernen zu dürfen. Alika spürte, dass an Maries Ältester mehr nagte, als diese ertragen konnte, und folgte ihr, um ihr Trost zu spenden und Hilfe anzubieten. Kurz darauf zog sie sich Utas Unwillen zu, denn sie warf die junge Magd kurzerhand aus Trudis Kammer, um allein mit dem Mädchen sprechen zu können.
    Die Ziegenbäuerin blieb noch eine Weile bei ihrer Freundin, damit diese jemanden hatte, bei dem sie sich ihren Kummer von der Seele reden konnte. Zunächst sprach Marie von den glücklichen Tagen, die sie mit Michel erlebt hatte und die nun endgültig der Vergangenheit angehörten, dann wies sie seufzend in die Richtung, in der die Dächer von Hiltruds Hof zu erkennen waren.
    »Manchmal glaube ich, du hast das bessere Los von uns beiden gezogen. Du bist nicht so hoch gestiegen wie Michel und ich, hast aber ein glücklicheres Leben führen dürfen.«
    »Ob es ein glücklicheres Leben war als deines, mag dahingestellt sein. Auf jeden Fall war es weniger aufregend. Trotzdem solltest du nicht so reden. Du bist als Tochter eines reichen Konstanzer Bürgers geboren worden, während ich nur eines von vielen Kindern eines abhängigen Bauern war, der mich an einen Hurenwirt verkauft und seinem Grundherrn wahrscheinlich weisgemacht hat, ich wäre an irgendeiner Krankheit gestorben. Hätte ich dich damals nicht getroffen, wäre ich wohl schon längst in irgendeinem Straßengraben verreckt, und niemand hätte sich die Mühe gemacht, mir ein christliches Begräbnis

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