Die Tochter der Wanderhure
einen Gulden und zwei der Schillinge zurück.
»Sieh dir die Ränder an! Die sind abgeschnitten worden. Man würde mir weniger dafür geben, als ich brauche.«
Issachar ben Schimon murmelte eine leise Verwünschung. Die Kleine war noch hartnäckiger, als er erwartet hatte. Da er nicht wollte, dass sie zum Magistrat lief und ihn unredlicher Geschäfte beschuldigte, ersetzte er die schlechten Münzen durch gute und hoffte, die Jungfer würde endlich gehen. Stattdessen zog sie das nächste Schmuckstück hervor und legte es auf den Tisch.
»Wie viel ist das wert?«
Seufzend ergriff Issachar ben Schimon die Kette, taxierte sie und nannte einen lächerlich niedrigen Preis.
Trudi lachte ärgerlich auf. »Du weißt genau, dass diese Kette nicht weniger wert ist als die Spange, wahrscheinlich sogar mehr.«
Der Händler begriff, dass das Mädchen mit dem ersten Schmuckstück hatte ausprobieren wollen, wie viel sie für ihren Schmuck erlösen konnte, und zollte ihr insgeheim Respekt. Auf seinen Verdienst wollte er trotzdem nicht verzichten, und so entspannsich ein Schachern, bei dem keiner der beiden nachgeben wollte. Issachar versuchte, Trudi dazu zu bewegen, alle Schmuckstücke, die sie versetzen wollte, auf einmal auf den Tisch zu legen und dafür eine Summe auszuhandeln. Das Mädchen begriff jedoch, dass sie dadurch weniger Geld erhalten würde, als wenn sie jedes Teil einzeln verhandelte, und schüttelte den Kopf.
»Ich brauche nur eine gewisse Summe, und wenn ich die habe, nehme ich den Rest wieder mit.«
Issachar ben Schimon konnte in ihrer Miene lesen, dass dies nicht stimmte, und rang umso heftiger um jeden Groschen. Dabei fragte er sich, aus welchen Gründen das Edelfräulein ihren gesamten Schmuck versetzen wollte. Möglichkeiten gab es viele. Sie konnte versuchen, einem Bruder oder auch einem Geliebten zu einer neuen Rüstung oder einem Pferd zu verhelfen, oder aber Geld für neue Kleider benötigen. Letzteres verneinte Issachar ben Schimon sofort. In einem solchen Fall wäre die Mutter mitgekommen oder eine andere erfahrene Verwandte. Allerdings wusste dieses Mädchen besser zu handeln als die meisten anderen Frauen, die seinen Laden betraten. Die waren in der Regel zufrieden, wenn sie einen Teil des Wertes in gemünztem Gold erhielten. Die Jungfer vor ihm aber kämpfte um den Preis jedes Gegenstands, als hinge ihr Leben davon ab.
Als Trudi schließlich das letzte Schmuckstück versetzt und das Geld dafür eingestrichen hatte, wusste Issachar ben Schimon nicht zu sagen, wer den besseren Teil davongetragen hatte. Nun musste er noch vorbauen, damit seine Kundin nicht glaubte, sie könne den Schmuck später zu dem Preis zurückerhalten, den er jetzt dafür bezahlt hatte. Daher setzte er eine belehrende Miene auf. »Wenn Ihr diese Sachen zurückhaben wollt, müsst Ihr ein Viertel des Wertes als Pfandgeld bezahlen.«
Trudi nickte, ohne darüber nachzudenken. Was später kam, war in diesem Augenblick unwichtig. Für sie zählte nur, dass sie genug Geld besaß, um die Reise antreten zu können. Natürlichwürde sie unterwegs sparen müssen, doch sie fühlte sich gut gerüstet. Nun galt es, Mariele beizubringen, dass sie weiterreisen wollte.
14.
A ls junges Mädchen war Mariele Tesslerin selbst in Michel Adler auf Kibitzstein verliebt gewesen. Diese Schwärmerei hatte sie längst überwunden und war mit ihrem Ehemann, mit dem sie zwei Kinder hatte, sehr glücklich geworden. Trotz der vielen Arbeit im Haus und im Geschäft ihres Mannes, dem sie half, die Bücher zu führen, und den sie vertrat, wenn er auf Reisen ging, hatte sie die Bindung zu ihrer Familie in Habichten und zu den Kibitzsteinern immer aufrechterhalten. Nun freute sie sich, Trudi für eine Weile bei sich zu haben, und tat alles, um ihr in ihrer Trauer beizustehen.
»Du bist wohl in der Kirche gewesen und hast für die Seele deines Vaters gebetet«, begrüßte sie ihren Gast.
Trudi drückte die Ärmeltasche an sich, in die sie das von Issachar ben Schimon erhaltene Geld gesteckt hatte, damit das Klirren der Münzen sie nicht verriet, und nickte beschämt. Es tat ihr leid, der Freundin die Unwahrheit sagen zu müssen, aber es ging nicht anders.
»Das ist das Einzige, mit dem ich Papa noch beistehen kann.« Sie lächelte traurig und sah Mariele in die Augen, um nicht wie eine Lügnerin zu wirken.
Hiltruds Älteste glich ihrer Mutter stärker als früher, sah aber, wenn man Hiltruds Äußerungen glauben konnte, viel hübscher aus als diese in
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