Die Tochter der Wanderhure
Sigismund erhalten hatte. Zwar hatte das Pferd einen eigenen Kopf und ein schwieriges Temperament, aber es war eine zierliche Schönheit und ungewöhnlich schnell. Trudi liebte Wirbelwind und striegelte sie oft eigenhändig, weil die Stute die Stallknechte kniff und ihnen gern auf die Füße trat. Bei ihrer Herrin aber war sie lammfromm. Starr wie eine Statue stand sie da, während diese sich in den Sattel helfen ließ.
Normalerweise ritt Trudi wie ein Mann, während die meisten ihrer adligen Freundinnen auch für die Ausritte in der Umgebung ihrer Burgen den als schicklicher erachteten Damensattel wählten. Doch da sie auf dieser Reise nicht auffallen wollte, musste sie nun ebenfalls ihren rechten Schenkel über den Sattelhaken legen und den linken Fuß gegen den Steigbügel stemmen. In ihrem waidgefärbten Reitkleid und mit der kecken Kappe auf ihrem Kopf sah sie aus wie eine aparte junge Dame auf einem vergnüglichen Ausflug, doch als sie nach den Zügeln griff, verriet die heftige Geste ihre innere Anspannung. Die übertrug sich auch auf ihr Reittier, das sofort lospreschen wollte.
»Reite mit Gott und gib auf dich acht!«, rief Mariele ihr nach.
Trudi hob die Reitpeitsche zum Gruß und zog ihre Stute herum. »Ich danke euch aus ganzem Herzen! Lebt wohl, bis zu unserem Wiedersehen!«
Als Trudis Stimme verklang, hatte sie das Tor erreicht und trabte hindurch. Lampert musste Utas Pferd, das sich nicht in Bewegung setzen wollte, mit einer Gerte antreiben. Die beiden Bewaffneten halfen ihm nicht, sondern warteten, bis er seine widerspenstigenRösser ebenfalls durch das Tor getrieben hatte, und setzten sich erst dann in Bewegung. Für sie war dieser Ritt eine Aufgabe wie jede andere, und sie hofften, dass die Jungfer sich für ihren Schutz mit dem einen oder anderen Krug Wein in den Herbergen erkenntlich zeigen würde.
Mariele sah dem kleinen Reiterzug nach, bis er in den Gassen verschwunden war, und drehte sich dann zu ihrem Mann um. »Mit einem Mal habe ich ein ganz seltsames Gefühl. Irgendwie war Trudi diesmal anders als sonst. Ich würde gerne wissen, was wirklich hinter ihrer Stirn vorgeht.«
»Sie leidet unter dem Tod von Herrn Michel. Sei unbesorgt! Bei ihren Gebeten in den Wallfahrtskirchen wird sie gewiss ihren inneren Frieden wiederfinden«, tröstete ihr Mann sie und wandte seine Gedanken dem nächsten Geschäft zu.
Mariele sagte sich, dass sie wohl nur das Opfer jener seltsamen Gefühle geworden war, die schwangere Frauen öfter überfielen, und wünschte Trudi von ganzem Herzen Glück.
FÜNFTER TEIL
Die Reise
1.
D er Waffenknecht sah aus, als würde er lieber mit einem wild gewordenen Auerochsen kämpfen, als Trudi zur Rede zu stellen. Dennoch war er nicht bereit, sich weiterhin ihren Launen zu fügen. Anstatt sich damit zu begnügen, die Wallfahrtsorte im Schweinfurter Umland aufzusuchen, war die junge Dame auffallend zielstrebig immer weiter nach Südosten gezogen und hatte dabei vor wenigen Tagen den Donaustrom überquert.
Unruhig von einem Fuß auf den anderen tretend, versuchte der Mann, eine möglichst strenge Miene aufzusetzen. »Wir müssen umkehren, Jungfer! Unser Herr erwartet uns vor dem Christfest zurück. Wenn wir nicht rechtzeitig daheim sind, wird er uns schelten und wahrscheinlich aus seinen Diensten entlassen. Das wollt Ihr doch gewiss nicht.«
Selbst für diesen Appell an ihre Fürsorgepflicht schien Trudi taub zu sein. Sie wies mit einer heftigen Geste nach Südosten und bemühte sich, so entschlossen wie möglich aufzutreten. »Ich muss noch diesen einen heiligen Ort aufsuchen, von dem der fromme Mönch gestern gesprochen hat.«
Der Waffenknecht schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich, Jungfer. Bis Altötting müssten wir mindestens noch zwei Tage reiten. Bitte dreht um! Ihr habt auf dieser Reise wirklich genug gebetet!«
»Das ist wahr!«, pflichtete Uta dem Mann bei. »Seit wir von Schweinfurt losgeritten sind, haben wir mehr als ein Dutzend heiliger Stätten besucht, und Ihr habt inzwischen so viel Ablass erworben, dass Euer Vater gewiss schon ins Himmelreich aufgenommen worden ist.«
Die Magd hatte keine Lust, noch weiter in die Ferne zu ziehen, denn das Jahr neigte sich, und das Wetter zeigte sich von einer sehr unfreundlichen Seite. Dabei lag bis Schweinfurt ein weiterWeg vor ihnen, und sie würden bereits auf dem Rückweg durch Schnee und Eis reiten müssen.
Der Waffenknecht warf seinem Kameraden einen Blick zu, der diesen davor warnen sollte, noch einmal
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