Die Tochter der Wanderhure
Die beiden zogen lange Gesichter und sahen Trudi vorwurfsvoll an. Die Blicke, die sie wechselten, verrieten die Hoffnung, ihre Herrin könne es sich doch noch anders überlegen und den Waffenknechten nach Schweinfurt folgen. Aber Trudi dachte nur an ihr fernes Ziel und trieb ihre Stute mit einem Zungenschnalzen an. Daher blieb Uta und Lampert nichts anderes übrig, als sich in die Schlange der Wallfahrer einzureihen.
Zu allem Unglück begann es schon nach einer kurzen Wegstrecke zu regnen. Die meisten Wallfahrer hatten sich in weiser Voraussicht in dicke Filzmäntel gehüllt, und Trudi konnte einen gewachsten Umhang um sich schlagen und die Kapuze über den Kopf ziehen. Uta aber besaß nur einen einfachen Wollumhang ohne Kapuze, der sich rasch vollsog und ihre Kleidung durchnässte.
Während die Pilger fromme Psalmen sangen, lief die Magd neben der Stute her und schimpfte leise. »Wahrscheinlich werde ich krank werden, und das ist dann Eure Schuld!«
»Das hoffe ich nicht, sonst müsste ich dich unterwegs zurücklassen!« Trudi war Utas ewiges Gejammer leid und fragte sich, wie sie je daran hatte denken können, dieses Mädchen zu ihrer Leibmagd zu machen. Lampert war da ganz anders. Er tat seine Arbeitunterwegs mit der gleichen Freude wie zu Hause und erwies sich als wertvoller Helfer, der mit den Leuten gut zurechtkam und immer wieder etwas in Erfahrung brachte, das ihren Plänen förderlich war.
Eben versetzte er Uta einen Stoß mit dem Ellbogen. »Sei endlich ruhig. Die Wallfahrer sehen dich schon böse an. Willst du, dass sie uns wegen deines Gemeckers aus ihrer Gruppe ausschließen?«
Der Knuff und sein Tadel ließen Uta zusammenzucken. Hatte sie doch noch Trudis Drohung im Ohr, sie notfalls zurückzulassen. »Oh, Herr im Himmel, steh mir bei in meiner unverschuldeten Not! Bitte mach, dass die Jungfer wieder zur Vernunft kommt!«, betete sie laut.
Dafür versetzte Lampert ihr den nächsten Rippenstoß. »Die Jungfer ist dreimal so vernünftig wie du. An ihrer Stelle hätte ich dich mit Tesslers Soldknechten zurückgeschickt und mir eine brave, arbeitsame Magd aus dieser Gegend besorgt.«
Uta starrte ihn entgeistert an. »Du willst doch nicht behaupten, dass ich faul bin!«
»In Arbeitshausen bist du nicht gerade daheim«, antwortete Lampert ungerührt.
»Das muss ich mir von dir nicht bieten lassen!« Uta holte aus, um Lampert zu ohrfeigen. Der Knecht fing ihre Hand auf, packte Uta bei den Schultern und schüttelte sie durch.
»Du störst die frommen Gebete dieser guten Leute! Daher werden wir beide jetzt ein Stück zurückbleiben, damit ich dir einmal deutlich die Meinung sagen kann.«
Er hielt sie fest, bis sich der Zug der Wallfahrer ein Stück entfernt hatte. Dann packte er ihren Kopf, so dass sie ihm ins Gesicht sehen musste. »Du bist unserer Herrin eine sehr schlechte Magd. Zu Hause hast du dich noch ein wenig zusammengenommen und konntest deine Fehler schönreden, aber auf dieser Reise führst du dich auf wie ein Besen. Anstatt deiner Herrin so zudienen, wie es sich gehört, kritisierst du jeden ihrer Schritte. Dazu beleidigst du die Knechte und Mägde in den Herbergen. Erinnere dich an den Landshuter Gasthof, in dem wir beinahe abgewiesen worden wären. Beim Heiland, ich wünschte, die Jungfer würde mir erlauben, dir den Hintern mit einer kräftigen Haselrute zu versohlen!«
Zuletzt wurde Lampert selbst so laut, dass sich die Nachhut der Wallfahrer empört umdrehte. Uta vergönnte ihm die tadelnden Blicke und erwog, sich vor diesen Leuten als unschuldiges Opfer ihrer Herrin und des rüpelhaften Knechts darzustellen. Sie glaubte auch jemanden gefunden zu haben, bei dem sie ihre Klagen anbringen konnte. Eine der Frauen schien ebenfalls geschwatzt zu haben, denn sie wurde eben vom Anführer der Wallfahrer zurechtgewiesen und musste hinter dem Zug gehen, so dass es niemanden mehr gab, mit dem sie reden konnte. Uta sah es, machte sich mit einem ärgerlichen Schnauben von Lampert frei und gesellte sich zu dieser Frau.
Zu ihrem Leidwesen war der Wallfahrerin jedoch ein heilsamer Schrecken in die Glieder gefahren, und sie bemühte sich, die Gebete der anderen mitzusprechen. Auch Trudi fiel in die Litanei ein und beachtete ihre Magd nicht mehr. Diese stapfte durch den Regen, der ihr kalt über Gesicht und Nacken lief, und haderte mit Gott und der Welt. Dabei zitterte sie vor Kälte und sehnte sich zurück in die geheizte Kemenate von Kibitzstein. Ihren Dienst bei Trudi hatte sie sich anders
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