Die Tochter der Wanderhure
setzen wollen und war sehr verärgert, dass Marie ihm die Mittel dafür versagte. Nun schlug seine bisher gut verborgene Abneigung gegen die einstige Hure in offenen Hass um. »Dein Gemahl wird dich verfluchen und jede Gemeinsamkeit mit dir abstreiten, wenn du dich weigerst, dieses Opfer für seine Seele zu bringen!«
Diese Drohung verfing bei Marie ebenso wenig wie die anderen. Sie trat einen Schritt zur Seite und blickte durch ein Fenster auf den Hof hinab. Michi, der älteste Sohn der Ziegenbäuerin, war gerade dabei, den Torturm verstärken zu lassen. Er hatte Kessnach auf ihren Ruf hin sofort verlassen und sich auf Kibitzstein vom ersten Tag an als die Stütze erwiesen, die sie sich erhofft hatte. Auf seinen Mut und ihre eigene Erfahrung vertraute sie mehr als auf alle Gebete, die der Abt von Schöbach sprach odersprechen ließe. Am liebsten hätte sie seinem Kloster keinen einzigen Gulden für die Seelenmessen zukommen lassen, doch ganz wollte sie nicht auf geistlichen Beistand für Michels Seele verzichten.
»Du schweigst! Ist dein Starrsinn bereits so groß, dass du nicht mehr weißt, was du meinem hohen kirchlichen Amt schuldig bist?« Das Gesicht des Abtes hatte sich vor Zorn gerötet. Er war in der Erwartung gekommen, Marie mit seinem überlegenen Verstand beherrschen und zu allem bringen zu können, das ihm und seinem Kloster nützte. Früher oder später würde sie den Großteil ihres Besitzes oder sogar alles an den Fürstbischof und seine Anhänger verlieren, und da war es besser, wenn er diesen Reichtum in die Hand bekam und zu Gottes Ruhm verwenden konnte. Doch dieses Weib war uneinsichtig und setzte ihm mehr Widerstand entgegen als ein Marmorblock dem Meißel des Steinmetzen.
»Ob ich starrsinnig bin, sei dahingestellt. Ich habe das heilige Vermächtnis meines Mannes zu erfüllen, unseren Besitz einmal ungeschmälert unserem Sohn zu übergeben.« Marie hatte ihre innere Ruhe wiedergefunden und vermochte dem Abt nun gelassen zu antworten.
»Gar nichts wirst du deinem Sohn übergeben können! Vielleicht noch die Burg hier mit dem Meierdorf, aber mehr nicht!«, giftete ihr Gegenüber.
Marie zuckte mit den Achseln. »Wenn es so kommen sollte, ist es Gottes Wille. Ich werde mich gegen dieses Schicksal stemmen, solange ich es vermag.«
»Dann habe ich nichts mehr zu sagen. Meinen Segen muss ich dir verweigern! Aber ich hoffe für dich und die Seele deines Mannes, dass du zur Vernunft kommst und das tust, was dir frommt. Der Weg, den du jetzt einschlägst, führt dich unweigerlich in die Tiefen der Hölle, in der du Qualen erleben wirst wie noch kein Weib zuvor.«
Bei einer anderen Frau hätte der Abt mit diesen Drohungen vielleicht Eindruck schinden können. Marie erinnerte sich jedoch allzu gut daran, dass ein kirchlicher Richter vor fünfunddreißig Jahren den Stab über sie gebrochen und sie zu einem Leben in Elend und Schande verurteilt hatte. Viel schlimmer als das, was sie fünf Jahre lang durchgemacht hatte, konnte auch die Hölle nicht sein. Damals und auch später hatte sie genug Mönche und Kleriker kennengelernt, um sagen zu können, dass auf einen Gerechten mindestens ein anderer kam, der seinen Gelüsten und Trieben freien Lauf ließ. Nun war auch Pankratius von Schöbach ein Opfer seiner Gier geworden.
Während der Abt schimpfend und drohend den Saal verließ, fragte sie sich, ob in seinen Worten ein Körnchen Wahrheit steckte. Waren Michel und sie in ihrer Art, Besitztümer zu sammeln, zu weit gegangen? Doch sie verneinte diese Frage sofort. Der Würzburger Fürstbischof und der Schöbacher Abt rafften viel unverfrorener Land und Geld an sich und bemäntelten dies mit dem Evangelium. Während Michel und sie für die gekauften oder verpfändeten Güter Geld und Waren gegeben hatten, bestand die Bezahlung der Bischöfe und Mönche zumeist nur aus jenen wohlfeilen Worten, die sie Gebete nannten.
4.
T rudi war froh, als die Wallfahrer endlich das Städtchen Altötting erreicht hatten und unter Singen und der endlosen Wiederholung der gleichen Gebete die alte Kapelle umrundeten, in der der Sage nach schon der große Kaiser Karl gekniet haben sollte. Trotz ihres ehrwürdigen Alters zählte die Kapelle in Altötting nicht zu den berühmten Wallfahrtsorten, denn bisher hatten sich an dieser Stelle noch keine bedeutenden Mirakel ereignet.
Dennoch galt der Ort als heilig und wurde von vielen frommen Menschen aus dem Umland besucht.
Trudi selbst fand den Platz wenig ansprechend. Die
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