Die Tochter der Wanderhure
Herrschaft strenger alter Nonnen unterwerfen.
Während Lisa und Hildegard mit offenen Mündern lauschten und sich beinahe schon erwachsen fühlten, langweilte Trudi das Geplapper bald. »Wisst Ihr, wer von den jungen Herren sonst noch erschienen ist?«, unterbrach sie den Redefluss einer jungen Frau, die eben von ihren eigenen Erfahrungen im Brautbett berichten wollte.
»Nein! Es sind einfach zu viele, um sie alle im Kopf behalten zu können«, antwortete diese gereizt.
Eine andere zeigte in den Burghof. »Ich habe Steinsfeld gesehen und den jungen Rotenhan zu Eyrichshof. Ach ja, Junker Otto von Henneberg ist auch hier, aber den hast du ja schon selbst kennengelernt, meine Liebe!« Ein vorwurfsvoller Blick traf Trudi.
Das dünne Mädchen sah sie ebenfalls empört an. »Wie konntest du diesen edlen Herrn nur so verletzen? Nun ist er für sein Leben gezeichnet.«
Lisa schäumte auf. »Genau das wäre meiner Schwester passiert, wenn es diesem Kerl gelungen wäre, sie zu schänden!«
Eine pummelige Fünfzehnjährige lachte sie aus. »Ach Unsinn! Als wahrer Edelmann hätte Herr Otto von Henneberg gewiss nicht gezögert, um deine Schwester anzuhalten. Bedenke nur, was das für ein Aufstieg gewesen wäre: eine Heirat in ein gräfliches Haus!«
Ein paar Mädchen kicherten spöttisch, und Trudi vernahm, wie sich einige im Hintergrund über die Herkunft der Kibitzsteiner Sippe lustig machten. Zwar wagte es schon lange niemand mehr, ihre Mutter eine Hure zu nennen, wie es früher geschehen war, doch der Hinweis auf den Bierkrug, der eigentlich das Wappen des Reichsritters zieren müsse, war unmissverständlich. Einige der Frauen und Mädchen stammten aus Familien, die eng mit dem Bischof von Würzburg verbunden waren, und sticheltennun in einer Weise, die Trudi die Zornröte ins Gesicht trieb. Ihr lagen bereits einige derbe Antworten auf der Zunge, als sie Bona auf sich zutreten sah.
Ihre Freundin trug ein weites, nicht gerade neues Kleid und wirkte angesichts der aufputzten Schar ihrer Gäste wie ein schlichtes Huhn in einer Voliere voll prächtiger Fasanen. Trudi wunderte sich darüber, denn Bona hatte sonst weitaus mehr auf ihr Äußeres geachtet. Sie war ungewöhnlich blass und hatte wohl auch geweint, denn ihre Wangen waren feucht. »Es ist schön, dass du gekommen bist, Trudi! Kannst du rasch mit mir kommen? Ich muss mit dir reden.«
Bona klang niedergeschlagen und so ungewohnt ängstlich, dass Trudi erschrak. »Natürlich komme ich mit.«
Dabei fragte sie sich, ob es in dieser überfüllten Burg überhaupt noch einen Ort gab, an dem man sich ungehört unterhalten konnte. Es wimmelte von Menschen, und etliche der weiblichen Gäste versuchten nun, Bona ihre Glückwünsche auszusprechen, oder wollten sie einfach nur kennenlernen. Gerade walzte eine ausladende Matrone auf Bona zu und winkte heftig, um deren Aufmerksamkeit zu erregen.
»Rasch fort! Das ist Elgard von Rendisheim, eine von Mertelsbachs Verwandten!« Bona packte Trudi am Arm und zog sie durch eine Seitentür. Kurz darauf erreichten die beiden die Burgküche, in der eine verzweifelte Köchin es längst aufgegeben hatte, die Zubereitung der Speisen sorgfältig zu überwachen. Stattdessen ließ die Frau die Zutaten von ihren Mägden und Küchenjungen nur noch nach Gefühl in die Kessel und Töpfe werfen.
Als sie die beiden Mädchen entdeckte, sah sie Bona kopfschüttelnd an. »Mit Eurer Hochzeit habt Ihr aber was angerichtet, Jungfer. So viele Leute können wir nie und nimmer drei Tage hintereinander ernähren. Schon nach zweien werden unsere Vorratskammern so leer sein, dass darin selbst ein Mäuslein verhungern müsste.«
»Ich kann doch gar nichts dafür!« Bona brach in Tränen aus.
Die Köchin wollte noch etwas hinzusetzen, doch da rief eine ihrer Gehilfinnen nach ihr.
Bona nützte die Gelegenheit und führte Trudi durch einen bogenförmigen Durchgang zu einer weiteren, recht engen Wendeltreppe. Sie mussten noch über einige Fässer und Säcke hinwegsteigen, dann blieben die Geräusche und die Unruhe der Burg hinter ihnen zurück.
»Der Turm hat früher einmal zur Wehrmauer gehört. Doch nachdem mein Großvater die Burg hat umbauen lassen, ist er mehr oder weniger nutzlos geworden. Als Kinder haben wir öfter im Turmzimmer gespielt. Erinnerst du dich nicht mehr?«
Trudi nickte. »Doch, doch! Aber wir sind mindestens zwei Jahre nicht mehr hier gewesen.«
»Es sind mehr als drei. Man hat uns verboten, noch einmal hierherzukommen, weil sie uns
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