Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
Vom Netzwerk:
Kopf. Der Kessel begann zu pfeifen, und da sie nicht gleich darauf reagierte, erfüllte der durchdringende, klagende Ton den ganzen Raum.
    »Ich weiß es nicht. Bei Duke vielleicht.«
    David durchquerte das Zimmer und nahm den Kessel vom Herd. »Ich bin sicher, es geht ihm gut.«
    Norah nickte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein«, sagte sie langsam. »Das ist es ja gerade. Ich glaube, es geht ihm gar nicht gut.«
    Sie nahm den Telefonhörer zur Hand. Dukes Mutter gab ihr die Adresse von einer Party, die im Anschluß an die Vorstellung stattfinden sollte, und Norah griff nach dem Schlüsselbund.
    »Nein.« David hielt sie zurück. »Ich werde gehen. Ich glaube nicht, daß er im Moment mit dir reden will.«
    »Aber mit dir«, fuhr sie ihn an.
    Doch in dem Moment, als sie diese Worte aussprach, hatte sie verstanden. Etwas war weggerissen worden, und auf einmal stand all das Gewesene zwischen ihnen: die langen Stunden, in denen sie sich davongestohlen hatte, die Lügen und Ausflüchte und ihre Kleider am Strand, auch seine Lügen. Langsam beugte sie den Kopf zu einem Nicken, während er alles, was sie sagen oder tun würde, mit Furcht erwartete, |265| weil es ihre Welt für immer ändern konnte. Er wünschte sich nichts so sehr, wie den Lauf der Welt anhalten zu können.
    »Ich gebe mir die Schuld … an allem«, erklärte er.
    Er nahm den Schlüsselbund und trat hinaus in die laue Frühlingsnacht. Der Mond war voll und leuchtete gelb wie Butter. Rund und tief und wunderschön stand er am Horizont. David blickte immer wieder zu ihm auf, als er durch die stille Nachbarschaft fuhr. Als Kind hätte er sich nie träumen lassen, einmal in solch einer wohlhabenden Gegend zu wohnen. Im Unterschied zu Paul hatte er am eigenen Leib erfahren, daß die Welt ein unsicherer und manchmal sogar ein grausamer Ort war. Er hatte sich dieses Leben erkämpfen müssen, das Paul als selbstverständlich hinnahm.
    Einen Häuserblock von der Party entfernt, sah er Paul, der, die Hände in den Taschen und mit hochgezogenen Schultern, den Bürgersteig entlanglief. Am Straßenrand reihte sich ein parkendes Auto an das nächste, so daß es keine Möglichkeit gab heranzufahren. Also verringerte David das Tempo und hupte kurz. Paul schaute auf, und einen Augenblick lang fürchtete David, er würde wegrennen.
    »Steig ein«, rief er, und Paul folgte seiner Aufforderung.
    Sie schwiegen. Der Mond tauchte alles in sein weiches Licht, und David spürte Pauls Anwesenheit neben sich überdeutlich. Er bemerkte seine leisen Atemzüge, wußte um Pauls Hände, die ruhig in seinem Schoß lagen, und war sich bewußt, daß Paul auf die gepflegten Rasenflächen starrte, die sie passierten.
    »Du warst wirklich gut heute abend. Ich war beeindruckt.«
    »Danke.«
    Sie fuhren zwei Häuserblocks weiter.
    »Deine Mutter sagt, daß du auf die Juilliard gehen möchtest.«
    »Vielleicht.«
    »Du bist gut«, fuhr David fort. »Du hast so viele Begabungen, Paul. Dir stehen so viele Möglichkeiten offen, du kannst |266| die verschiedensten Wege einschlagen, alle möglichen Berufe ergreifen.«
    »Ich mag die Musik«, erwiderte Paul. »Wenn ich spiele, fühle ich mich lebendig. Ich erwarte nicht von dir, daß du das verstehen kannst.«
    »Ich verstehe dich aber«, entgegnete ihm David. »Aber es ist eine Sache, sich lebendig zu fühlen, und eine andere, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
    »Klar. Natürlich, das mußte ja kommen.«
    »So kannst du nur reden, weil es dir nie an etwas fehlte«, versuchte David ihn zu überzeugen. »Daß du damit privilegiert bist, verstehst du nicht.«
    Sie waren schon fast zu Hause, aber David wendete und fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Er wollte in dieser mondhellen Nacht mit Paul im Auto bleiben, wo allein dieses Gespräch möglich war.
    »Du und Mama«, brach es aus Paul heraus, als ob er die Worte lange hatte zurückhalten müssen, »was ist eigentlich los mit euch? Du lebst, als würde dir alles egal sein, ohne jegliche Freude. Du lebst so vor dich hin, egal, was passiert. Nicht einmal um diesen Howard, scherst du dich.«
    Er wußte es also.
    »Der ist mir scheißegal«, bestätigte David. »Aber die Sache ist kompliziert, Paul. Und ich werde weder jetzt noch zu einem anderen Zeitpunkt mit dir darüber reden. Da gibt es zu vieles, was du nicht verstehst.«
    Paul sagte nichts. David hielt an einer Ampel. Weit und breit war kein anderes Auto zu sehen.
    »Laß uns nicht abschweifen«, sagte David schließlich. »Du brauchst dir

Weitere Kostenlose Bücher