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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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Ärger um. Sie würde David nicht mehr schreiben; er verlangte zuviel von ihr, und er verlangte es zu spät. Der Postbote stieg die Stufen wieder herab, und sein heller Regenschirm leuchtete.
    »Ja, mein Schatz«, sagte sie und strich dem Kätzchen über seinen knöchernen Kopf. »Da ist er.«

|315| 15. Kapitel
    März 1982
    C AROLINE STAND AN DER ECKE BEI FORBES UND Braddock und beobachtete die Kinder auf dem Spielplatz, die Kraft ihrer Bewegungen, hörte ihre Rufe und Schreie, die über den dumpfen Verkehrslärm hinweghallten. Hinter ihnen traten blaue und rote Figuren in stiller Würde auf das frisch gesprossene Gras des Baseballfeldes – vermutlich ein Spiel zweier örtlicher Thekenmannschaften. Es war Frühling, und langsam wurde es Abend. In ein paar Minuten würden die Eltern, die auf den Bänken saßen oder mit den Händen in den Hosentaschen herumstanden, ihre Kinder rufen, um den Heimweg anzutreten. Das Spiel würde bis zum Einbruch der Dunkelheit andauern, und wenn sie fertig waren, würden die Spieler sich auf den Rücken klopfen und in lautem und fröhlichem Gelächter eine Kneipe ansteuern, um noch etwas zu trinken. Sie und Al sahen sie öfter, wenn sie abends ausgingen. Dann besuchten sie meist die Frühvorstellung im Regent, aßen zu Abend und tranken – wenn Al nicht auf Abruf war – noch irgendwo ein, zwei Bier.
    Heute abend war er jedoch nicht da, sondern rauschte irgendwo im fernen Süden durch die hereinbrechende Nacht, von Cleveland nach Toledo, dann nach Columbus. Caroline hatte seine Touren immer am Kühlschrank hängen. Einige Jahre war es her – es war jene seltsame Zeit gewesen, als Doro zu ihrer Weltreise aufgebrochen war –, da hatte Caroline jemanden gefunden, der auf Phoebe aufpaßte, während sie mit Al unterwegs war. Sie hatte gehofft, daß sie sich so wieder etwas näherkommen würden. Die Stunden verstrichen, sie schlief ein und wachte wieder auf, verlor jegliches Zeitgefühl, |316| und die Straße erstreckte sich endlos vor ihnen wie ein schwarzes Band, das vom stetig aufblitzenden, verlockenden und hypnotisierenden weißen Trennstreifen zweigeteilt wurde. Auch Al war am Ende immer völlig ermattet und steuerte die nächste Ausfahrt an, wo sie in ein Restaurant gingen, das sich nicht wesentlich von dem unterschied, was sie am Abend zuvor in irgendeiner anderen Stadt aufgesucht hatten. Das Leben unterwegs war, als fiele man durch rätselhafte Löcher im Universum. In irgendeiner Stadt in Amerika ging man zur Toilette, und wenn man aus derselben Tür wieder heraustrat, fand man sich plötzlich ganz woanders wieder: dieselben großflächigen Einkaufszentren mit ihren Tankstellen und Schnellimbissen, dasselbe Donnern der Reifen auf dem Asphalt – nur die Namen unterschieden sich, die Lichtverhältnisse und die Gesichter. Zweimal hatte sie Al begleitet, dann nie wieder.
    Der Bus kam um die Ecke gebogen und hielt geräuschvoll vor der Haltestelle; die Türen öffneten sich. Caroline stieg ein und setzte sich ans Fenster. Bäume rauschten vorbei, als sie über die Brücke polterten. Sie fuhren am Friedhof vorbei, wanden sich durch Squirrel Hill und ruckelten weiter durch die alte Nachbarschaft nach Oakland, wo Caroline ausstieg. Einen kurzen Moment stand sie vor dem Carnegie-Museum und sammelte sich. Sie schaute auf zu dem großen Steingebäude mit seiner riesigen Treppenflucht und den ionischen Säulen. Ein großes Banner, das am oberen Ende des Eingangsportals befestigt worden war, flatterte im Wind: »Spiegelbil der : Fotografien von David Henry.«
    Heute abend war die Eröffnung. Er würde hier sein, um eine Rede zu halten. Mit zitternden Händen zog Caroline den Zeitungsausschnitt aus ihrer Tasche hervor. Seit zwei Wochen trug sie ihn nun schon mit sich herum, und jedesmal wenn sie ihn ertastete, schlug ihr Herz schneller. Ein dutzendmal hatte sie hin und her überlegt. Was sollte das alles bringen? Um sich schon beim nächsten Atemzug wieder zu fragen: Was sollte es schaden?
    |317| Wenn Al dagewesen wäre, wäre sie zu Hause geblieben. Sie hätte die Gelegenheit unbemerkt verstreichen lassen und so lange auf die Uhr geschaut, bis die Eröffnung vorbei gewesen wäre. Was für ein Leben er jetzt auch führte – David Henry wäre wieder dahin entschwunden.
    Aber Al hatte angerufen, um ihr mitzuteilen, daß er am Abend nicht nach Hause kommen würde, und Mrs. O’Neill paßte so lange auf Phoebe auf. Und dann war auch der Bus pünktlich gekommen.
    Carolines Herz raste. Sie hielt

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