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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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selbstverständlich.«
    Als Norah sie notierte, sah sie, wie Bree die Tür hinter Neil Simms schloß.
    »Alles in Ordnung mit Paul?« fragte Bree.
    Norah nickte. Sie war zu aufgewühlt, zu erleichtert, um zu sprechen. Seinen Namen zu hören hatte die Nachricht wirklich werden lassen. Paul war in Sicherheit – in Handschellen vielleicht, aber er lebte. Die Mitarbeiter im Büro, die sich am Empfang versammelt hatten, fingen an zu klatschen, und Bree ging zu ihr hinüber und umarmte sie. Sie ist so dünn, dachte Norah mit Tränen in den Augen; die Schulterblätter ihrer Schwester waren fein und spitz wie Flügel.
    »Ich fahre«, sagte Bree und nahm sie beim Arm. »Komm. Erzähl mir währenddessen, was passiert ist.«
    Norah ließ sich führen, zur Eingangshalle und in den Fahrstuhl, zum Wagen in der Parkgarage. Bree fuhr durch die bevölkerten Straßen der Innenstadt, während Norah erzählte und die Erleichterung wie ein Windstoß durch sie hindurchzog.
    |387| »Ich kann es nicht glauben. Die ganze Nacht habe ich wach gelegen. Ich weiß, daß Paul jetzt erwachsen ist. Ich weiß, daß er in ein paar Monaten aufs College gehen wird und ich zu keiner Zeit die geringste Ahnung haben werde, wo er sich rumtreibt. Und doch habe ich mir ununterbrochen Sorgen gemacht.«
    »Er ist immer noch dein Kleiner.«
    »Er wird es immer sein. Es fällt mir schwer, ihn gehen zu lassen. Schwerer, als ich gedacht hätte.«
    Sie fuhren an den flachen, tristen IBM-Gebäuden vorbei, und Bree winkte ihnen zu. »Hey Neil«, sagte sie. »Bis sehr bald.«
    »Diese ganze Arbeit«, seufzte Norah.
    »Keine Sorge. IBM verlieren wir schon nicht«, sagte Bree. »Ich war sehr, sehr charmant. Und Neil ist ein Familienmensch. Ich unterstelle ihm auch, einer dieser Männer zu sein, die Frauen gerne in Not sehen.«
    »Du verkaufst deine Ideale«, gab Norah scharf zurück und erinnerte sich daran, wie Bree vor Jahren im gedämpften Licht des Eßzimmers Menschenrechtstransparente geschwungen hatte.
    Bree lachte. »Überhaupt nicht. Ich habe nur gerade gelernt, mich auf meine Stärken zu besinnen. Wir bekommen IBM, mach dir keine Sorgen.«
    Norah antwortete nicht. Weiße Zäune blitzten auf und verschwammen vor dem saftigen Gras. Pferde standen seelenruhig auf der Weide. Es war Frühling, Melonenzeit, und die roten Knospen schnellten hervor. Sie überquerten den schlammig schimmernden Kentucky. In einem Feld jenseits der Brücke wogte ein fliederfarbener Kosmos, eine Momentaufnahme leuchtender Schönheit, und zog vorbei. Wie oft war sie diese Straße entlanggefahren, den Wind in ihren Haaren, und der Ohio hatte sie mit seinen Versprechungen, seiner ungestümen und sprudelnden Schönheit gelockt. Sie hatte sich vom Gin abgewendet, von den windrauschenden |388| Autofahrten; sie hatte das Reisebüro gekauft und zum Erfolg geführt; sie hatte ihr Leben verändert. Doch plötzlich wurde ihr eines klar, als sei ein grelles Licht in einen dunklen Raum gebrochen: Sie war rastlos weitergelaufen. Nach San Juan, Bangkok, London und Alaska. In Howards Arme und in die der anderen, den langen Weg bis zu Sam und zu diesem Augenblick.
    »Ich will dich nicht verlieren«, sagte sie laut. »Ich weiß nicht, wie du es schaffst, bei alldem so ruhig zu bleiben – ich habe das Gefühl, ich bin gerade vor eine Wand gerannt.« Ihr kam in den Sinn, daß David dasselbe gesagt hatte, gestern, als sie in der Einfahrt gestanden hatten, als er versucht hatte zu erklären, warum er dieses junge Mädchen, Rosemary, mit nach Hause gebracht hatte. Was war mit ihm in Pittsburgh geschehen, daß er nun so verändert war?
    »Ich bin ruhig, da ich weiß, daß du mich nicht verlieren wirst.«
    »Gut. Ich bin froh, daß du dir so sicher bist. Das könnte ich nicht verwinden, Bree.«
    Ein paar Meilen lang fuhren sie schweigend weiter.
    »Erinnerst du dich an das alte blaue Sofa, das ich hatte?« fragte Bree schließlich.
    »Vage«, sagte Norah und rieb sich die Augen. »Was ist damit?«
    Ein Tabaksilo, noch eins und ein langer grüner Streifen.
    »Ich habe dieses Sofa immer für so schön gehalten. Und dann, eines Tages, es war in einer wirklich trüben Phase meines Lebens, fiel das Licht anders darauf als sonst – ich glaube, es schneite draußen. Und mir ging auf, daß das Sofa völlig heruntergekommen war und daß nur noch der Staub es zusammenhielt. Ich wußte, daß es Zeit war, etwas zu ändern.« Sie sah Norah an und lächelte. »Und deswegen habe ich angefangen, bei dir zu arbeiten.«
    »Trübe

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