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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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zuviel Make-up auftrugen und irgendwo als Sekretärin arbeiteten, an einem sterilen und leblosen Ort, bei einer chemischen Reinigung oder einer Bank. Noch einmal sah er um sich. Doch es war niemand in der Nähe. Kein Rufen, keine Sirene erschollen. Dann schaltete er in den Drive-Modus und fuhr los.
    |379| Er war bislang nicht viel gefahren, aber es erinnerte ihn an Sex: Wenn du so tatest, als wüßtest du Bescheid, dann kanntest du dich ziemlich schnell wirklich aus, und es ging dir in Fleisch und Blut über. Vor der Highschool lungerten Ned Stone und Randy Delaney herum und warfen ihre Zigarettenkippen ins Gras, bevor sie wieder hineingingen. Er hielt Ausschau nach Lauren Lobeglia, die ihnen manchmal Gesellschaft leistete und deren Atem häufig herb und rauchig war, wenn er sie küßte.
    Die Gitarre rutschte ab. Er lehnte sich hinüber und sicherte sie mit dem Gurt. Ein Gremlin – so ein Mist. Er war in der Stadt angelangt und hielt vorsichtig an jeder Ampel. Der Tag war klar und blau. Er dachte an Rosemarys Augen, die sich mit Tränen gefüllt hatten. Er hatte sie nicht verletzen wollen. Und doch hatte er es getan. Irgend etwas war passiert, irgend etwas hatte sich verändert. Und sie hatte damit zu tun und er nicht, obwohl sich auf dem Gesicht seines Vaters einen kurzen Moment Freude gezeigt hatte, als er seine Aufnahme in die Juilliard verkündet hatte.
    Paul fuhr weiter. Er wollte nicht in dieses Haus zurück, was auch passierte. Er erreichte die Autobahn, wo sich die Straße teilte, und fuhr Richtung Westen, Richtung Louisville. Er hatte Kalifornien vor Augen. Die Musik dort und einen endlosen Strand.
    Lauren Lobeglia würde sich an irgendeinen anderen heranschmeißen, sie liebte ihn nicht, und er liebte sie nicht, sie war wie eine Droge, und was sie taten, hatte eine düstere Seite, etwas Abgründiges. Kalifornien. Bald würde er am Strand sein, in einer Band spielen und lässig und locker den Sommer verbringen. Im Herbst würde er dann irgendwie zur Juilliard abhauen. Durchs Land trampen vielleicht. Er kurbelte sein Fenster runter und ließ die Frühlingsluft hereinziehen. Der Gremlin fuhr gerade mal neunzig, selbst wenn er das Pedal bis auf den Boden drückte. Und doch fühlte es sich an, als würde er fliegen.
    |380| Er war hier schon einmal langgefahren, bei Schulausflügen zum Louisviller Zoo und auch schon vorher, als er noch klein war – auf einer dieser wilden Fahrten mit seiner Mutter, wenn er auf der Rückbank gelegen und die aufblitzenden Blätter, Äste und Telefonleitungen betrachtet hatte. Mit brüchiger Stimme hatte sie laut die Songs aus dem Radio begleitet und ihm versprochen, auf ein Eis anzuhalten, damit er brav und still war. All die Jahre war er brav gewesen, aber es hatte keinen Unterschied gemacht. Er hatte die Musik entdeckt und sein Herz geöffnet. Die Musik hatte die Lücke gefüllt, die der Tod seiner Schwester gerissen hatte. Doch auch das hatte nichts genutzt. Er hatte sein Möglichstes getan, damit seine Eltern einmal von ihrem Leben aufschauten und die Schönheit hörten, die Freude sahen, die er entdeckt hatte. Er hatte so viel gespielt und war so gut geworden. Und doch hatten sie nie aufgeschaut, nicht ein einziges Mal.
    Er legte seine Hand auf die Gitarre und spürte das warme Holz. Dann drückte er das Gaspedal durch, fuhr zwischen den Kalksteinfelsen hindurch und flog den Bogen zum Kentucky River hinunter. Die Brücke pfiff unter seinen Reifen. Paul fuhr immer weiter und weiter, ohne nachzudenken.

|381| 18. Kapitel
    April 1982
    J ENSEITS VON NORAHS MIT GLAS EINGEFAS STER Bürotür brummte das Tagesgeschäft. Ein Fax flatterte herein, und die Telefone klingelten; Neil Simms, der Personalleiter von IBM, trat durch die Eingangstür, und sein dunkler Anzug und die polierten Schuhe blitzten auf. Bree, die sich kurz am Empfang aufgehalten hatte, um die Faxe zu sammeln, drehte sich zum Gruß um. Sie trug einen gelben Leinenanzug mit dunkelgelben Schuhen. Ein eleganter Armreif rutschte bis an ihr Handgelenk hinunter, als sie sich zu ihm wandte und ihm die Hand schüttelte. Sie war sehr dünn geworden. Doch ihr Lachen war immer noch heiter und bahnte sich den Weg durch das Glas zu Norah, die vor einem glänzenden Ordner saß, den sie seit Wochen vorbereitet hatte, auf dem die dicken schwarzen Lettern IBM prangten.
    »Hör zu, Sam«, sprach sie ins Telefon. »Ich habe dir gesagt, daß du mich nicht anrufen sollst, und das meinte ich auch so.«
    Ein kühler, tiefer Strudel des

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