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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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ich Kentucky auch mag – es war nie wirklich ein Zuhause für mich.«
    Er nickte und freute sich für sie und traute sich nicht, etwas zu sagen.
    Manchmal hatte er sich überlegt, wie es wäre, das Haus ganz für sich allein zu haben – rein hypothetisch. Wie man die Wände rausreißen könnte, sich Raum öffnen, und wie das Zweifamilienhaus langsam, aber sicher wieder zu dem eleganten Einfamilienhaus würde, das es einmal gewesen war. Doch all diese Überlegungen hatte er zugunsten der Schritte und sanften Bewegungen nebenan, zugunsten des nächtlichen Erwachens durch Jacks gedämpftes Geschrei problemlos hintangestellt.
    |411| Mit Tränen in den Augen lachte er. »Das mußte wohl eines Tages so kommen«, sagte er und streifte seine Brille ab. »Herz lichen Glückwunsch dazu.«
    »Wir werden dich besuchen. Und du wirst uns besuchen.«
    »Natürlich«, sagte er. »Wir werden uns bestimmt häufig sehen.«
    »Das werden wir.« Sie legte ihre Hand auf sein Knie. »Hör zu, ich weiß, daß wir nie darüber sprechen. Ich weiß auch gar nicht, wie ich damit anfangen soll, um ehrlich zu sein. Aber es bedeutet mir viel – wie du uns geholfen hast. Ich bin dir dafür sehr dankbar. Werde es immer sein.«
    »Mir ist schon vorgeworfen worden, daß ich ein Helfersyndrom habe«, sagte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Du hast in vielerlei Hinsicht mein Leben gerettet.«
    »Wenn das wirklich so ist, dann freut es mich. Gott weiß, wieviel Schaden ich ansonsten angerichtet habe. Norah habe ich wohl nie sehr viel Glück beschert.«
    Für kurze Zeit herrschte Stille. Man hörte das ferne Dröhnen eines Rasenmähers.
    »Du mußt es ihr sagen«, sagte Rosemary sanft. »Paul auch. Du mußt es tun.« Jack hockte nun auf dem Fußweg und häufte Kiesel an, ließ die Steine durch seine Hände rieseln. »Ich weiß, daß es mir nicht zusteht, etwas zu sagen. Aber Norah muß über Phoebe Bescheid wissen. Es ist unfair, daß sie es nicht weiß. Genauso ist unfair, was sie all diese Zeit über uns gedacht haben muß.«
    »Ich habe ihr die Wahrheit gesagt. Daß wir Freunde sind.«
    »Das sind wir ja auch. Aber wie soll sie das glauben?«
    David zuckte mit den Schultern. »Es ist die Wahrheit.«
    »Nicht die ganze Wahrheit, David. Wir beide sind durch Phoebe auf eine verworrene Weise miteinander verbunden. Weil ich dein Geheimnis kenne. Ich muß zugeben, daß mir das anfangs schmeichelte. Ich fühlte mich bedeutend, da ich es wußte und sonst niemand. Es hat wohl etwas mit Macht |412| zu tun, in ein Geheimnis eingeweiht zu sein. Doch zuletzt habe ich mich nicht mehr so wohl dabei gefühlt. Es steht mir nicht wirklich zu, es zu wissen, oder?«
    »Nein.« David hob einen Dreckklumpen auf und zerrieb ihn zwischen seinen Fingern. »Ich denke nicht.«
    »Na also. Wirst du es tun? Es ihr erzählen?«
    »Ich weiß es nicht, Rosemary. Ich kann das nicht versprechen.«
    Ein paar Minuten lang saßen sie still in der Sonne und sahen Jack dabei zu, wie er versuchte, auf dem Rasen radzuschlagen. Er war ein flachsblonder, agiler, auf natürliche Weise athletischer Junge, der gern rannte und kletterte. David hatte ein Konto für ihn eröffnet, genau wie für Phoebe. Es war ein weiteres Geheimnis, von dem niemand wußte und bis zu Davids Tod niemand wissen würde. Als er aus West Virginia zurückgekehrt war, hatte sich etwas in ihm gelöst. Sein Kummer und der Schmerz des Verlustes, den er all die Jahre irgendwo in sich unter Verschluß gehalten hatte. Als June gestorben war, war er nicht fähig gewesen, auszudrücken, was er verloren hatte, nicht fähig gewesen weiterzuleben. Es war zu dieser Zeit sogar unschicklich gewesen, über die Toten zu reden, und so hatten sie es nicht getan. All ihr Kummer war nicht verarbeitet worden. Und auf irgendeine Weise hatte seine Rückkehr ihm erlaubt, dies nachzuholen. Er war ausgelaugt nach Hause zurückgekommen, nach Lexington, aber auch seiner selbst sicher und in sich ruhend. Nach all den Jahren hatte er die Kraft gefunden, Norah mit der Freiheit zu beglücken, ein neues Leben zu beginnen.
    Als Jack geboren wurde, eröffnete David in Rosemarys Namen ein Konto für ihn, so wie er in Carolines Namen eines für Phoebe eröffnete. Es war einfach gewesen. Carolines Sozialversicherungsnummer hatte er all die Jahre gehabt, genau wie ihre Adresse. Der Privatdetektiv hatte nicht mal eine Woche gebraucht, um Caroline und Phoebe ausfindig zu machen, die in Pittsburgh in einem hohen, schmalen Haus nahe |413| der Autobahn wohnten.

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