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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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und Wein zu trinken, den Vögeln dabei zuzusehen, wie sie sich von den Baumsilhouetten erhoben, unten der stille Fluß. Ihre wilden Fahrten zum Ohio und Mississippi als junge Frau kamen ihr in den Sinn, die absonderlich schimmernde Wasseroberfläche, die Neigung des Kalksteinufers und der Wind, der mit ihren Haaren spielte.
    Doch nun saß sie ruhig da, und die herumschwirrenden Vögel hoben sich dunkel vom indigoblauen Himmel ab. Es roch nach Wasser, nach Erschöpfung, nach geröstetem Fleisch und dem Schlamm des Flusses. Frederic zündete die Pfeife wieder an und schenkte Wein nach, während der Abend der Nacht Platz machte, die die nahe liegenden Häuser unter ihrem dunklen Vorhang verbarg. Doch nach und nach erglommen die Lichter in den Fenstern. Norah faltete ihre Serviette und stand auf. Die Welt drehte sich; ihr war schwindlig vom Wein, von der Anhöhe, von diesem langen Tag des Kummers und der Freude.
    »Alles in Ordnung mit dir?« fragte Frederic von weither.
    Norah faßte mit einer Hand den Tisch und holte Luft. Da sie gegen das Geräusch des Flusses, gegen den Geruch seiner dunklen Ufer, gegen die flackernden, überall herumwirbelnden Sterne nicht ankam, nickte sie nur.

|443| 21. Kapitel
    November 1988
    E R HIESS ROBERT UND SAH GUT AUS, EINE STRÄHNE schwarzen Haars fiel ihm in die Stirn. Er ging den Gang im Bus auf und ab, stellte sich jedem vor und machte Anmerkungen zur Strecke, zum Busfahrer oder zum Wetter. Nachdem er die letzte Sitzreihe erreicht hatte, kehrte er um und begann wieder von hinten. »Mir geht’s richtig gut«, verkündete er und schüttelte nebenbei Carolines Hand. Geduldig lächelte sie. Sein Händedruck war fest und selbstsicher. Die anderen Fahrgäste wichen seinem Blick aus. Sie vertieften sich in ihre Bücher, in ihre Zeitungen, während hinter dem Fenster die Umgebung vorbeizog. Robert ließ sich nicht beirren. Als seien die Menschen im Bus ebenso bemerkenswert wie Bäume, Felsen oder Wolken und als sei es ebenso unwahrscheinlich, daß sie antworteten. In seiner Beharrlichkeit, dachte sich Caroline, die aus der letzten Reihe zusah und sich jede Sekunde von neuem ermahnte, nicht einzugreifen, lag das tiefe Verlangen, einen Menschen zu finden, der ihn wirklich sah.
    Dieser Mensch schien Phoebe zu sein, deren Gesicht strahlte, die eine Art inneres Licht durchflutete, sobald Robert in ihrer Nähe war. Sie sah ihn den Gang hoch- und runterlaufen, als wäre er ein wundersames, nie zuvor gesehenes Wesen, vielleicht ein Pfau: schön, eitel und stolz. Als er sich schließlich auf den Sitz neben ihr niederließ und weiterredete, lächelte Phoebe ihn einfach an. Es war ein strahlendes Lächeln – sie hielt nichts zurück. Da waren keinerlei Reserviertheit, keinerlei Vorsicht, keinerlei Anstalten, sich abwartend zu vergewissern, ob er dieselbe wogende Verliebtheit |444| spürte. Caroline schloß beim Anblick ihrer so unverhohlen schwärmenden Tochter die Augen: diese wilde Unschuld, dieses Risiko! Doch als sie sie wieder öffnete, lächelte Robert entzückt zurück, als sei ihm ein Wunder geschehen, als hätte ein Baum seinen Namen gerufen, ihn ausgesprochen.
    Na und, dachte Caroline – warum auch nicht? Solch eine Liebe war selten genug. Sie sah zu Al, der neben ihr saß und eingenickt war; während der Bus über Schlaglöcher und durch kurvige Straßen fuhr, wurde sein graues Haar hin und her geschüttelt. Er war gestern nacht spät nach Hause gekommen und brach morgen früh schon wieder auf, um mit den Überstunden das neue Dach samt Dachrinne zu bezahlen. In den letzten Monaten waren ihre gemeinsamen Tage zumeist mit Arbeit vollgepackt gewesen. Manchmal beschlich Caroline eine Erinnerung aus den ersten Ehejahren – seine Lippen auf ihren, seine Hand an ihrer Hüfte, bittersüße Nostalgie. Wie waren sie beide so geschäftig geworden, so von Sorgen gezeichnet? Wie waren so viele Tage verstrichen, einer nach dem anderen, daß sie an diesem Punkt angelangt waren?
    Der Bus flog über die Schlucht hinweg und fuhr die Steigung nach Squirrel Hill hinauf. In der frühen Winterdämmerung waren die Scheinwerfer schon eingeschaltet. Phoebe und Robert saßen still beisammen, mit Blick zum Gang, und hatten sich für den alljährlichen Tanzball der Upside Down Society fein angezogen. Roberts Schuhe waren auf Hochglanz poliert, und er trug seinen besten Anzug. Unter Phoebes Wintermantel verbarg sich ein weiß-rotes Kleid mit Blumenmuster, und die dünne Konfirmationskette mit dem kleinen weißen

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