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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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Kreuz lag um ihren Hals. Ihr Haar war dunkler und dünner geworden in den letzten Jahren, und es lag haubenartig und kurz an ihrem Schädel. Hier und da wurde es von roten Haarklammern gehalten. Sie war blaß und hatte helle Sommersprossen an den Armen und im Gesicht. Mit dem Ansatz eines Lächelns starrte sie gedankenverloren aus |445| dem Fenster. Robert begutachtete die Reklametafeln über Carolines Kopf, Werbung für Kliniken und Zahnärzte mit Wegbeschreibungen. Er war ein guter Mensch, in jedem Moment bereit, sich an der Welt zu erfreuen, auch wenn er Gespräche fast sofort vergaß, nachdem sie beendet waren, und Caroline jedesmal nach ihrer Telefonnummer fragte, wenn er sie sah. Und doch vergaß er nie Phoebe. Vergaß nie die Liebe.
    »Wir sind fast da«, sagte Phoebe und zerrte an Roberts Arm, als sie sich dem höchsten Punkt des Bergs näherten. Die Tagesstätte lag einen halben Block weiter, und ihre Lichter überfluteten sanft das braune Gras und die dünne Schneedecke. »Sieben Stationen habe ich gezählt.«
    »Al«, sagte Caroline und rüttelte an seiner Schulter. »Al, Liebling, wir müssen aussteigen.«
    Der Bus entließ sie in die feuchtkühle Luft jenes Novemberabends. Paarweise gingen sie durch das Dämmerlicht. Caroline hakte sich bei Al unter.
    »Du bist müde«, sagte sie, um gegen das Schweigen anzureden, das bei ihnen immer mehr zur Gewohnheit geworden war. »Die letzten Wochen waren hart für dich.«
    »Bei mir ist alles in Ordnung«, sagte er.
    »Ich wünschte, du müßtest nicht so häufig unterwegs sein.« Noch während sie sprach, bereute sie ihre Worte. Dies war mittlerweile ein altbekannter Streitpunkt, ein empfindlicher Knoten im Fleisch ihrer Ehe, und sogar in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme durchdringend und schrill nach, als würde sie Streit suchen.
    Der Schnee knirschte unter ihren Schuhen. Al gab einen tiefen Seufzer von sich, sein Atem wurde als schwache Wolke in der Kälte sichtbar.
    »Weißt du, ich tue mein Bestes, Caroline. Ich kann zur Zeit gutes Geld verdienen, und ich werde nicht jünger. Ich gehe stramm auf die Sechzig zu. Ich muß das Eisen schmieden, solange es heiß ist.«
    |446| Caroline nickte. Sein Arm fühlte sich sicher und verläßlich an. Sie war so froh, daß er hier war, sie war des merkwürdigen Rhythmus ihrer beider Leben so müde. Sie wünschte sich nichts so sehr, als jeden Tag mit ihm zu Abend zu essen. An seiner Seite aufzuwachen. Und zwar nicht in irgendeinem anonymen Hotelzimmer, hundert oder fünfhundert Kilometer entfernt.
    »Ich vermisse dich einfach nur«, sagte Caroline sanft. »Das war alles, was ich damit sagen wollte.«
    Phoebe und Robert gingen vor ihnen her, Hand in Hand. Caroline beobachtete ihre Tochter, die dunkle Handschuhe und einen lose um den Hals geschwungenen Schal trug, den Robert ihr geschenkt hatte. Sie wollte Robert heiraten, wollte ihr Leben mit ihm verbringen; zuletzt hatte sie nur noch davon gesprochen. Linda, die Leiterin der Tagesstätte, hatte sie schon gewarnt. »Phoebe ist verliebt. Sie ist fünfundzwanzig, ein bißchen spätreif und dabei, ihre eigene Sexualität zu entdecken, Caroline. Darüber müssen wir reden.« Doch Caroline, die nicht einsehen wollte, daß sich etwas geändert hatte, hatte die Diskussion verworfen.
    Phoebe schritt mit leicht gesenktem Kopf dahin, hörte angestrengt zu, dann klang plötzlich ihr Lachen durch die Dämmerung. Caroline atmete die scharfe, kalte Luft ein und wurde beim Anblick ihrer glücklichen Tochter von Freude und Glück übermannt. Im selben Moment wurde sie in die Vergangenheit zurückgeworfen – in den Warteraum der Klinik mit seinen welken Farnpflanzen und der knarrenden Tür –, wo Norah Henry am Empfang stand und ihre Handschuhe abstreifte, um der Sprechstundenhilfe mit ebendiesem Lächeln ihren Ehering zu zeigen. Eine Ewigkeit war das her. Caroline hatte diese Zeit fast völlig aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Und dann war letzte Woche, während Al noch unterwegs war, der Brief einer Anwaltskanzlei eingetroffen. Caroline hatte ihn verdutzt aufgerissen und noch in der kühlen Novemberluft auf der Veranda gelesen.
    |447| »Bitte setzen Sie sich bezüglich eines Bankkontos auf Ihren Namen mit uns in Verbindung.«
    Sie rief sofort an und stand am Fenster, schaute auf den Verkehrsstrom, während der Anwalt ihr die Nachricht überbrachte: David Henry ist tot. Tatsächlich war er schon seit über einem Vierteljahr tot. Sie hatten sie angeschrieben, um ihr mitzuteilen, daß

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