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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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|501| zurückgebliebenen Person begegnet, und er stellte fest, daß die Vorstellungen, die er dabei hatte, alle negativ waren. Keine paßte zu dem liebenswert lächelnden Mädchen auf dem Foto, und auch das beunruhigte ihn.
    »Ich weiß es auch nicht«, sagte Paul. »Vielleicht ist es ein guter Anfang, dieses Durcheinander hier zu beseitigen.«
    »Dein Erbe«, sagte seine Mutter.
    »Es ist nicht nur meines«, sagte er nachdenklich und erprobte die Worte. »Es ist auch das meiner Schwester.«

    *

    Sie arbeiteten den ganzen Tag durch und auch den nächsten, sichteten die Fotos, räumten die Kisten wieder ein und schoben sie in die kühle Tiefe der Garage. Während seine Mutter die Kuratoren traf, rief Paul Michelle an, um ihr zu erklären, was passiert war, um ihr zu sagen, daß er letztlich nicht zu ihrem Konzert kommen könne. Er rechnete damit, daß sie verärgert sein würde, doch sie hörte ihm kommentarlos zu und legte sanft auf. Als er sie erneut anzurufen versuchte, sprang der Anrufbeantworter an; den ganzen Tag ging es so. Mehr als einmal überlegte er sich, ins Auto zu steigen und wie ein Wilder nach Cincinnati zu fahren, doch er wußte, daß es nichts bringen würde. Wußte auch, daß er so nicht weitermachen wollte, weil er Michelle immer mehr lieben würde als sie ihn. So zwang er sich, zu bleiben. Er stürzte sich in die körperliche Arbeit, räumte das Haus aus, und am Abend ging er zur Carnegie-Bibliothek in die Innenstadt, um Bücher über das Downsyndrom zu studieren.
    Am Montagmorgen stiegen er und seine Mutter still, zerstreut und voller Ängstlichkeit ins Auto und fuhren zurück über den Fluß durch das saftige Spätsommergrün Ohios. Es war sehr heiß, und die Blätter des Mais schimmerten gegen den überschwenglich blauen Himmel. Im Feierabendverkehr kamen sie in Pittsburgh an und fuhren durch den Tunnel, der in die Brücke mündete und einen atemberaubenden Blick auf |502| die zusammentreffenden Flüsse eröffnete. Sie krochen durch den Stadtverkehr und folgten dem Monagahela, indem sie durch einen weiteren langen Tunnel fuhren. Schließlich hielten sie vor Caroline Gills Backsteinhaus in einer vielbefahrenen, von Bäumen gesäumten Straße.
    Sie hatte ihnen gesagt, sie sollten in der Allee parken, und das taten sie auch. Jenseits eines Grasstreifens führten Treppenstufen auf ein schmales Grundstück und zu dem Backsteinhaus, in dem seine Schwester aufgewachsen war. Paul ließ das Haus auf sich wirken, das so typisch für Cincinnati war und so anders als sein eigener behüteter Kindheitsort. Auf der Straße brauste der Verkehr, an den briefmarkengroßen Vorgärten vorbei auf dem Weg ins Zentrum.
    Die Gärten entlang der Allee waren übersät mit Blumen, und die Magnolienbäume blühten. Im Garten des besagten Hauses machte sich eine Frau an einer Reihe mit Tomatensträuchern zu schaffen. Hinter ihr wuchs eine Hecke aus Fliederbüschen, deren Blätter ihre blaßgrüne Unterseite bei einem Windstoß aufblitzen ließen. Die Frau, die dunkelblaue Shorts, ein weißes T-Shirt und helle, geblümte Baumwollhandschuhe trug, richtete sich aus der Hocke auf und strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. Sie riß ein Blatt von einem der Tomatensträucher und hielt es sich an die Nase.
    »Ist sie das?« fragte Paul. »Ist das die Krankenschwester?«
    Seine Mutter nickte. Sie hielt ihre Arme fest und schützend vor der Brust verschränkt. Ihre Sonnenbrille verdeckte ihre Augen, doch auch so konnte er sehen, wie nervös sie war, wie blaß und angespannt.
    »Ja, das ist Caroline Gill. Paul, nun, wo es soweit ist, bin ich mir nicht sicher, ob ich das durchstehe. Vielleicht sollten wir einfach nach Hause fahren.«
    »Wir sind die ganze Strecke hergefahren. Außerdem erwarten sie uns.«
    Ein müdes Lächeln ging über ihr Gesicht. Seit Tagen schon hatte sie kaum geschlafen; selbst ihre Lippen waren blaß.
    |503| »Es ist nicht möglich, daß sie uns erwarten«, sagte sie.
    Paul nickte. Die Hintertür wurde aufgestoßen, doch die Gestalt auf der Veranda wurde vom Schatten verdeckt. Caroline richtete sich auf und streifte sich ihre Hände an den Shorts ab.
    »Phoebe«, rief sie. »Da bist du ja.«
    Ohne sie anzusehen, fühlte Paul, wie die Anspannung bei seiner Mutter stieg. Auch er starrte auf die Veranda. Der Augenblick währte eine Unendlichkeit. Endlich tauchte die Gestalt auf, mit zwei Gläsern Wasser in den Händen.
    Sie war klein, viel kleiner als er selbst, und ihr Haar, als Bubikopf geschnitten,

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