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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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war dunkler, dünner und flauschiger. Sie war blaß – wie seine Mutter –, und aus der Ferne schien ihr breites Gesicht feine Züge zu haben, ein Gesicht, das irgendwie geplättet schien, als hätte man es zu lange gegen eine Wand gedrückt. Ihre Augen waren leicht nach oben versetzt, ihre Glieder waren kurz. Sie war kein Mädchen mehr wie auf den Fotografien, sondern erwachsen, in seinem Alter, mit einigen grauen Haaren. Ein paar wenige graue Stoppeln blitzten auch in seinem Dreitagebart auf. Sie trug geblümte Shorts und war stämmig, ein wenig dicklich, ihre Beine rieben aneinander, wenn sie ging.
    »Oh«, sagte seine Mutter. Sie preßte eine Hand auf ihr Herz. Ihre Augen wurde von der Sonnenbrille verdeckt, und er war froh darüber. Dieser Augenblick war zu intim.
    »Es ist schon okay«, sagte er. »Laß uns eine Weile hier stehenbleiben.«
    Die Sonne war brüllend heiß, und der Verkehr rauschte vorüber. Caroline und Phoebe saßen nebeneinander auf der Treppe der Veranda und tranken ihr Wasser.
    »Ich bin bereit«, sagte seine Mutter schließlich, und sie gingen die Stufen zum schmalen Stück Rasen zwischen Gemüse und Blumen herunter. Caroline sah sie zuerst; sie hielt die Hand schräg vor die Augen, blinzelte in der Sonne darunter hervor und erhob sich. Auch Phoebe stand auf, und für wenige |504| Sekunden sahen sie sich über den Rasen hinweg an. Dann nahm Caroline Phoebes Hand. Sie trafen sich bei den Tomatensträuchern, deren schwere Früchte bereits reiften und die Luft mit einem reinen, bitteren Duft erfüllten. Niemand sprach. Phoebe starrte Paul an, und nach einer ganzen Zeit streckte sie ihren Arm über den Zwischenraum hinweg aus und berührte seine Wange, leicht, behutsam, als ob sie sehen wollte, ob er echt war. Paul nickte schweigend und sah sie ernst an – ihre Geste erschien ihm passend, in irgendeiner Weise. Phoebe wollte ihn kennenlernen, das war alles. Er wollte sie auch kennenlernen, doch er wußte nicht, was er ihr sagen sollte, dieser unerwarteten Schwester, der er so eng verbunden und die ihm so fremd war. Er war unglaublich befangen und hatte Angst, das Falsche zu tun. Wie redete man mit einer zurückgebliebenen Person? Keines der Bücher, die er übers Wochenende gelesen hatte, keiner dieser nüchternen Berichte hatte ihn auf den wirklichen Menschen, auf seine Schwester vorbereitet, deren Hand so behutsam sein Gesicht gestreift hatte.
    Es war Phoebe, die sich als erste fing.
    »Hallo«, sagte sie und streckte ihm förmlich die Hand entgegen. Paul ergriff sie und fühlte, wie klein ihre Finger waren, noch immer nicht in der Lage, ein einziges Wort zu sprechen. »Ich bin Phoebe. Freut mich, dich kennenzulernen.«
    Sie sprach schwerfällig, und es war schwierig, sie zu verstehen. Dann wandte sie sich zu seiner Mutter und wiederholte die Worte.
    »Hallo«, sagte seine Mutter, schüttelte ihre Hand und umschloß sie dann mit ihren beiden Händen. Ihre Stimme war belegt. »Hallo Phoebe, ich bin auch so froh, dich kennenzulernen.«
    »Es ist so heiß«, sagte Caroline. »Lassen Sie uns doch reingehen. Da sind die Ventilatoren an. Und Phoebe hat heute morgen Eistee gemacht. Sie war schon ganz aufgeregt wegen Ihrem Besuch. Nicht wahr, Schatz?«
    |505| Phoebe lächelte und nickte, plötzlich verschüchtert. Sie folgten ihr in das kühle Haus. Die Räume waren klein, aber wohnlich und zweckmäßig; sie hatten schöne Holzvertäfelungen, und eine Schiebetür zwischen Wohn- und Eßzimmer schuf Weite. Das Wohnzimmer war lichtdurchflutet und voller weinroter Möbel. Ein riesiger Webstuhl stand in der anderen Ecke des Raums.
    »Ich mache einen Schal«, sagte Phoebe.
    »Er ist wunderschön«, sagte Norah und ging durch den Raum, um das Garn zu befühlen, das dunkelrosa, beige, gelb und blaßgrün war. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgesetzt und sah mit wäßrigen Augen auf, ihre Stimme noch immer brüchig. »Hast du dir all diese Farben selbst ausgesucht, Phoebe?«
    »Es sind meine Lieblingsfarben.«
    »Meine auch«, sagte sie. »Als ich in deinem Alter war, waren das auch meine Lieblingsfarben. Meine Brautjungfern trugen Dunkelrosa und Beige, dazu gelbe Rosen.«
    Paul war überrascht, dies zu erfahren; die Fotos, die er gesehen hatte, waren Schwarzweißbilder gewesen.
    »Du kannst den Schal haben«, sagte Phoebe und setzte sich an den Webstuhl. »Ich mache ihn für dich fertig.«
    »Oh«, sagte Norah und schloß kurz ihre Augen. »Phoebe, das ist lieb von dir.«
    Caroline brachte den Eistee, und alle

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