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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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vier saßen beklommen im Wohnzimmer, redeten verlegen über das Wetter und über Pittsburghs Wiederaufblühen nach dem Niedergang der Stahlindustrie. Phoebe hockte still am Webstuhl, bewegte das Schiffchen vor und zurück und sah ab und zu auf, wenn ihr Name fiel. Paul schaute von der Seite immer wieder verstohlen zu ihr hinüber. Phoebes Hände waren klein und dicklich. Während sie sich auf das Schiffchen konzentrierte, biß sie sich auf die Unterlippe.
    »Tja«, sagte Norah, nachdem sie den Tee ausgetrunken hatte. »Da sind wir nun. Und ich weiß nicht, was jetzt passieren soll.«
    |506| »Phoebe«, sagte Caroline. »Warum setzt du dich nicht zu uns?« Still kam Phoebe herüber und nahm neben Caroline auf der Couch Platz.
    Norah sprach zu schnell und faltete nervös die Hände. »Ich weiß nicht, was am besten ist. Ich denke, es gibt keine Gebrauchsanweisung für die Situation, in der wir stecken. Aber ich möchte Phoebe mein Zuhause anbieten. Sie kann mit uns kommen und mit uns leben, wenn sie das möchte. Ich habe in den letzten Tagen sehr viel darüber nachgedacht. Man würde ein ganzes Leben benötigen, um alles aufzuholen.« An dieser Stelle hielt sie inne, um Luft zu holen, und wandte sich dann zu Phoebe, die sie mit argwöhnischem Blick ansah. »Du bist meine Tochter, Phoebe, verstehst du das? Das ist Paul, dein Bruder.«
    Phoebe ergriff Carolines Hand. »Das ist meine Mutter«, sagte sie.
    »Ja.« Norah sah kurz zu Caroline und versuchte es erneut. »Das ist deine Mutter«, sagte sie. »Aber ich bin auch deine Mutter. Du bist in meinem Körper aufgewachsen, Phoebe.« Sie tippte auf ihren Magen. »Genau hier bist du herangewachsen. Doch dann wurdest du geboren, und deine Mutter Caroline hat dich großgezogen.«
    »Ich werde Robert heiraten«, sagte Phoebe. »Ich möchte nicht mit euch leben.«
    Paul, der den inneren Kampf seiner Mutter das ganze Wochenende über erlebt hatte, empfand Phoebes Worte geradezu körperlich, als ob sie ihn getreten hätte. Er sah, daß es Norah genauso erging.
    »Alles in Ordnung, Phoebe«, sagte Caroline. »Niemand zwingt dich dazu, zu gehen.«
    »Ich wollte nicht … Ich wollte dir nur anbieten …«, erwiderte Norah, dann hielt sie inne und holte noch einmal Luft. Ihre Augen flackerten. »Phoebe – Paul und ich, wir würden dich gerne kennenlernen. Das ist alles. Bitte hab keine Angst vor uns, okay? Was ich sagen möchte, was ich |507| meine, ist, daß mein Haus dir offensteht. Immer. Wo immer ich auf dieser Welt hingehe, du kannst auch dorthin kommen. Und ich hoffe, daß du es auch tust. Ich hoffe, daß du mich eines Tages besuchen kommen wirst, das ist alles. Was denkst du darüber?«
    »Vielleicht«, gab Phoebe nach.
    »Phoebe«, sagte Caroline, »Wie wäre es, wenn du Paul einmal das Haus zeigst? Dann hätten Mrs. Henry und ich Gelegenheit, uns ein bißchen zu unterhalten. Und keine Sorge, mein Engel«, fügte sie hinzu und legte ihre Hand sanft auf Phoebes Arm, »niemand geht irgendwohin. Alles ist in Ordnung.«
    Phoebe nickte und stand auf. »Willst du mein Zimmer sehen?« fragte sie Paul. »Ich habe einen neuen Plattenspieler.«
    Paul schaute kurz zu seiner Mutter, die ihm zunickte. Zusammen durchquerten sie den Raum, und Paul folgte Phoebe die Stufen hinauf.
    »Wer ist Robert?« fragte er.
    »Er ist mein Freund. Wir werden heiraten. Bist du verheiratet?«
    Paul schüttelte den Kopf; die Erinnerung an Michelle versetzte ihm einen Stich. »Nein.«
    »Hast du eine Freundin?«
    »Nein. Ich hatte eine Freundin, aber sie hat mich verlassen.«
    Phoebe stand auf der obersten Stufe und drehte sich um. Sie standen sich Auge in Auge gegenüber, so nah beieinander, daß Paul sich unwohl fühlte. Er schaute weg und wieder zu ihr – sie sah ihm noch immer geradewegs ins Gesicht.
    »Es ist unhöflich, Menschen anzustarren.«
    »Aber du siehst traurig aus.«
    »Ich bin auch traurig. Eigentlich bin ich sogar sehr, sehr traurig.«
    Sie nickte, und für einen Augenblick schien sie sich seiner Trauer angeschlossen zu haben, ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich, um einen Moment später aufzuklaren.
    |508| »Komm«, sagte sie und führte ihn den Korridor entlang. »Ich habe auch ein paar neue Platten.«
    In ihrem Zimmer setzten sie sich auf den Boden. Die Wände waren rosa, an den Fenstern hingen weiß-rosa karierte Vorhänge. Es war ein Mädchenzimmer, das voller Plüschtiere und fröhlicher Bilder war. Paul mußte an Robert denken und fragte sich, ob es stimmte, daß Phoebe heiraten

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