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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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ab.«
    »Hausmütterchen?« wiederholte sie wieder. »Ich wollte nur, daß es an meinem Hochzeitstag nett aussieht. Was ist daran schlimm?«
    »Nichts«, seufzte Bree. »Es sieht großartig aus. Habe ich dir das nicht gerade gesagt? Außerdem bin ich zum Babysitten hier, erinnerst du dich? Warum bist du also so wütend?«
    Norah winkte ab. »Schon gut. Ach, verflixt, David muß heute operieren.«
    Bree wartete eine Sekunde, bevor sie sagte: »Typisch.«
    Norah wollte ihn in Schutz nehmen, ließ es dann aber sein. Sie drückte ihre Hände gegen die Wangen. »Sag mir, Bree, warum heute?«
    »So eine Scheiße«, stimmte Bree zu. Norah blickte sie verärgert an, und Bree lachte. »Komm, sei ehrlich. Vielleicht ist |101| es gar nicht Davids Schuld. Aber es ist trotzdem Scheiße, oder?«
    »Es ist nicht seine Schuld«, grollte Norah. »Es gab einen Unfall. Aber du hast recht. Mir stinkt es trotzdem. Bist du jetzt zufrieden?«
    »Ich weiß«, sagte Bree erstaunlich sanft. »So eine Schweinerei. Tut mir leid, Schwester.« Dann grinste sie. »Sieh mal, ich habe dir und David ein Geschenk mitgebracht. Vielleicht stimmt dich das um.«
    Bree löste einen Arm von Paul und wühlte in ihrer übergroßen Patchworktasche, wobei Bücher, ein Müsliriegel, ein Stapel Flugblätter, die eine Demonstration ankündigten, und eine Sonnenbrille in einem abgewetzten Lederetui zum Vorschein kamen. Endlich zog sie eine Flasche Wein heraus. Als sie sich beiden ein Glas einschenkte, funkelte er wie ein Granat.
    »Auf die Liebe«, rief sie, reichte Norah ein Glas und erhob ihr eigenes. »Auf ewige Glückseligkeit.«
    Sie lachten und tranken. Der Wein war dunkel und schwer und schmeckte nach Beeren und schwach nach Eiche. Von den Dachrinnen tropfte der Regen. Noch Jahre später würde sich Norah an diesen Abend erinnern, an ihre düstere Enttäuschung und an Bree, die voller Energie war, mit ihren glänzenden Stiefeln und Ohrringen, den Insignien einer anderen Welt. Wie schön war all das in Norahs Augen und wie unerreichbar. Erst nach Jahren würde sie verstehen, welcherart das Dunkel war, in dem sie gelebt hatte, daß sie unter einer Depression gelitten hatte. 1965 sprach noch keiner davon, man dachte nicht einmal daran, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit Norah, die ein Haus, ein Baby und einen Mann hatte, der Arzt war. Sie konnte sich doch glücklich schätzen.
    »Habt ihr eigentlich euer altes Haus verkauft?« fragte Bree und stellte ihr Glas ab. »Nehmt ihr das Angebot an?«
    »Ich weiß nicht so recht.« Norah zuckte mit den Schultern. »Der Preis, den man uns bietet, ist eigentlich zu niedrig. |102| David möchte trotzdem verkaufen, um die Dinge geregelt zu haben, aber ich bin mir unsicher. Es war schließlich unser Zuhause. Ich kann den Gedanken noch nicht ertragen, das Haus abzugeben.«
    Sie mußte an ihr dunkles, leeres Haus denken, in dessen Garten ein Schild aufgestellt worden war, auf dem die Wörter »Zu verkaufen« prangten, und sie fühlte sich, als wäre die Welt sehr brüchig geworden. Um einen sicheren Halt zu bekommen, griff sie nach dem Küchentresen und nahm noch einen Schluck Wein.
    »Was macht dein Liebesleben?« fragte Norah und wechselte damit das Thema. »Wie steht es mit diesem Typen, mit dem du dich triffst? Wie war sein Name noch? Jeff?«
    »Ach der.« Brees Gesicht wurde düster, und sie machte eine Kopfbewegung, als wolle sie den Gedanken abschütteln. »Habe ich dir das nicht erzählt? Vor zwei Wochen bin ich nach Hause gekommen und habe ihn im Bett – in meinem Bett, wohlgemerkt – mit diesem süßen jungen Ding erwischt, das mit uns an der Werbekampagne für den Bürgermeister gearbeitet hat.«
    »Oh! Das tut mir leid.«
    Bree schüttelte den Kopf. »Das braucht es nicht. Ich habe ihn nicht geliebt oder so. Wir paßten nur irgendwie gut zusammen. Zumindest habe ich das geglaubt.«
    »Du hast ihn nicht geliebt?« wiederholte Norah in dem mißbilligenden Tonfall ihrer Mutter, wofür sie sich sofort haßte. Sie wollte weder die teetrinkende Frau im stillen, ordentlichen Haus ihrer Kindheit sein, noch wollte sie zu einem Menschen werden, den die Trauer in eine Welt ohne Sinn gedrängt hatte.
    »Nein«, erklärte Bree. »Ich habe ihn nicht geliebt, obwohl ich eine Zeitlang glaubte, daß ich ihn lieben könnte. Aber darum geht es jetzt gar nicht mehr. Der Punkt ist, daß er unsere Beziehung in ein Klischee verwandelt hat. Das hasse ich mehr als alles andere – daß ich Teil eines Klischees geworden bin.«
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