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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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ihren Augen, so daß sie glaubte, gleich hinzufallen. Das Grab, rauschte es Caroline durch den Kopf, als sie zusah, wie sich Norahs lange Beine anmutig beugten, um plötzlich im Matsch zu knien. Der Wind verfing sich in Norahs Goldhaar und riß an ihrem runden, randlosen Hut.
    … denn alles auf Erden ist vergänglich, und ewig ist das Himmelreich.
    Caroline beobachtete die Hand des Pfarrers, und als er wieder zu sprechen begann, schienen seine leisen Worte nicht an Phoebe, sondern an sie selbst gerichtet zu sein und eine Endgültigkeit in sich zu tragen, die unwiderruflich war.
    So übergeben wir ihren Körper den Elementen, Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Der Herr segne und bewahre sie, der Herr lasse sein Angesicht leuchten über ihr und gebe ihr Frieden.
    Die Stimme verlosch, die Blätter bewegten sich im Wind, und Caroline gab sich einen Ruck und wischte ihre Tränen weg. Sie drehte sich um und ging zu ihrem Auto, wo Phoebe |94| ruhig schlief, und ein Sonnenstrahl huschte über ihr kleines Gesicht.
    Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Schnell erreichte sie das Gelände des Steinmetzwerkes mit den charakteristischen Grabsteinreihen und bog dort ab in Richtung Interstate. War es nicht ein schlechtes Omen, wenn ein Werk für Grabmale am Eingang einer Stadt lag? Aber schon bald hatte sie all das weit hinter sich gelassen, und als sie die Stelle des Highway erreichte, an dem er sich in zwei verschiedene Richtungen gabelte, entschied sie sich, nach Norden, in Richtung Cincinnati, zu fahren und dann nach Pittsburgh, den Ohio River entlang, zu dem Ort, an dem Dr. Henry einen Teil seiner mysteriösen Vergangenheit verlebt hatte. Die andere Straße, die nach Louisville und dem Heim für Geisteskranke führte, verschwand in ihrem Rückspiegel.
    Caroline fuhr schnell und fühlte sich tollkühn. Begeisterung, so strahlend wie der Tag, erfüllte sie. Was konnten ihr schlechte Omen jetzt noch anhaben? Immerhin war das Kind an ihrer Seite offiziell schon tot. Und sie, Caroline Gill, war im Begriff, vom Angesicht dieser Erde zu verschwinden. Bei diesen Gedanken wurde ihr so leicht ums Herz, daß sie meinte, hoch über den stillen Feldern Ohios zu schweben. Während ihrer Reise gen Osten, den ganzen sonnigen Nachmittag über, war Carolines Glaube an eine glückliche Zukunft unerschüttert. Und warum auch nicht? Wenn sie das Schlimmste, was einem in den Augen der Welt zustoßen konnte, bereits erlebt hatten, dann konnte es von jetzt an nur besser werden.

|97| 5. Kapitel
    Februar 1965
    N ORAH STAND BARFUSS UND GEFÄHRLICH WACKELND auf einem Stuhl im Eßzimmer und befestigte rosafarbene Luftschlangen am Kronleuchter. Pink- und rosafarbene Papierherzen fielen in langen Ketten herab und krochen über ihr Hochzeitsporzellan – goldene Ränder und dunkle Rosen –, das Spitzentischtuch und die weißen Stoffservietten. Während sie den Tisch schmückte, brummte der Ofen, und die Kreppapierbänder wehten hoch und streiften ihr Kleid, bevor sie sanft raschelnd wieder zu Boden glitten.
    Paul, elf Monate alt, saß neben einem alten Korb, der früher zur Weinlese verwendet worden war und jetzt, mit Holzscheiten gefüllt, in der Ecke stand. Er hatte gerade angefangen zu laufen und vergnügte sich schon den ganzen Nachmittag damit, in seinen ersten Schuhen durch ihr neues Haus zu stapfen. Jedes Zimmer war ein Abenteuer. Er hatte Nägel in eine Lüftungsklappe gesteckt und sich an ihrem scheppernden Echo erfreut und eine dünne weiße Spur hinterlassen, als er einen Sack Fugenspachtel durch die Küche gezogen hatte. Gerade starrte er mit großen Augen auf die Luftschlangen, die so schön, aber so schwer zu fassen waren wie Schmetterlinge. Dann zog er sich auf einen Stuhl hoch, um sie schwankend zu verfolgen. Er bekam ein pinkfarbenes Band zu fassen und riß daran, was den Kronleuchter zum Schwingen brachte. Dabei verlor er die Balance, fiel hart auf den Po und begann erschrocken zu weinen.
    »Ach, Süßer«, tröstete ihn Norah, während sie vom Tisch kletterte, um ihn hochzunehmen. »Aber, aber«, raunte sie ihm ins Ohr und strich ihm über das dunkle, weiche Haar.
    |98| Draußen leuchteten Scheinwerfer kurz auf; dann hörte man eine Autotür zuschlagen. Im gleichen Moment klingelte das Telefon. Norah trug Paul in die Küche und nahm gerade den Hörer ab, als es an die Tür klopfte.
    »Hallo?«, Sie drückte Paul die Lippen auf die Stirn, feucht und sanft, wobei sie sich bemühte zu erkennen, wessen Auto in der Einfahrt stand.

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