Die Tochter des Fotografen
Ziegelstein ersetzt wurde, und zündete sich eine Zigarette an. Mehrere Minuten nahmen ihre lebhaften blauen Augen Caroline in Augenschein. Währenddessen sprach sie nicht. Dann räusperte sie sich und atmete den Rauch aus.
»Ehrlich gesagt, hatte ich nicht mit einem Baby gerechnet«, erklärte sie.
Caroline zog ihren Lebenslauf heraus. »Ich bin seit fünfzehn Jahren Krankenschwester. Ich würde viel Erfahrung und Sensibilität für diese Stellung mitbringen.«
Dorothy March nahm die Papiere mit ihrer freien Hand entgegen, um sie zu studieren.
»Sie scheinen tatsächlich sehr viel Erfahrung zu besitzen. Aber aus den Unterlagen geht nicht hervor, wo sie gearbeitet haben. Sie sind sehr ungenau.«
Caroline zögerte. In den letzten Wochen hatte sie ein Dutzend verschiedene Antworten auf diese Frage bei genauso vielen Bewerbungsgesprächen ausprobiert, aber keine hatte gefruchtet.
|123| »Sie sind ungenau, weil ich weggelaufen bin«, brach es aus ihr heraus, und sie klang fast irrsinnig, als sie dies sagte. »Ich bin vor Phoebes Vater davongelaufen. Deswegen kann ich Ihnen nicht sagen, wo ich herkomme, und Ihnen keine Referenzen nennen. Das ist der einzige Grund, weswegen ich noch keine Arbeitsstelle gefunden habe. Ich bin eine ausgezeichnete Krankenschwester. Und offen gesagt, könnten Sie sich glücklich schätzen, mich einzustellen, wenn man bedenkt, was Sie bezahlen wollen.«
An dieser Stelle war von Dorothy March ein schroffes, überraschtes Lachen zu hören.
»Was für eine kühne Erklärung! Meine Liebe, es handelt sich um eine Anstellung, bei der Sie hier im Haus wohnen würden. Warum, um alles in der Welt, sollte ich das Risiko eingehen und sie an jemand völlig Unbekannten vergeben?«
»Ich werde für Unterkunft und Verpflegung arbeiten«, insistierte Caroline, weil sie an die fleckige Decke und die sich von der Wand lösenden Tapeten im Zimmer ihres Motels dachte, das sie sich keine Nacht länger leisten konnte. »Zwei Wochen ohne Bezahlung, dann können Sie entscheiden.«
Die Zigarette in Dorothy Marchs Hand war bis auf den Filter heruntergebrannt. Sie betrachtete sie und drückte sie im überquellenden Aschenbecher aus.
»Aber wie wollen Sie das anstellen«, grübelte sie. »Und auch noch mit einem Baby? Mein Vater ist kein geduldiger Mensch. Ich bin sicher, daß er kein einfacher Patient sein wird.«
»Eine Woche«, drängte Caroline sanft. »Wenn Sie mich nach einer Woche nicht behalten wollen, werde ich gehen.«
Jetzt war schon fast ein Jahr ins Land gegangen. Doro erhob sich in dem dampfenden Badezimmer. Die Ärmel ihres schwarzen Seidenmantels, der mit tropischen Vögeln bedruckt war, rutschten ihr in die Ellenbeuge.
|124| »Gib sie mir. Du siehst erschöpft aus, Caroline.«
Phoebes Keuchen hatte nachgelassen, und sie hatte eine gesündere Farbe angenommen; ihre Wangen waren schwach gerötet. Caroline reichte sie herüber und spürte, wie die Wärme mit Phoebe verschwand.
»Wie ging es heute mit Leo?« fragte Doro. »Hat er dir Ärger gemacht?«
Caroline antwortete nicht sofort. Sie war so müde, war sie doch in diesem Jahr so viel herumgekommen. Ihr ordentliches Leben hatte sich von Grund auf verändert, während sie von einem Augenblick zum nächsten gelebt hatte. Irgendwie war sie in dieses winzige violette Badezimmer geraten. Sie war Phoebes Mutter und die Gefährtin eines genialen Mannes geworden, der mit einem aussetzenden Gedächtnis belastet war, und sie hatte eine ungewöhnliche, aber feste Freundschaft zu Doro March aufgebaut. Ein Jahr zuvor waren sie einander noch fremd gewesen: Frauen, die auf der Straße wahrscheinlich achtlos aneinander vorbeigelaufen wären, ohne daß sich eine Verbindung ergeben hätte. Nun waren ihre Leben miteinander verstrickt, einmal, weil sie aufeinander angewiesen waren, aber auch wegen eines umsichtigen, tiefen Respekts, den sie füreinander hegten.
»Er wollte nicht essen und hat mich beschuldigt, Scheuerpulver in seinen Kartoffelbrei gerührt zu haben. Es war also ein ziemlich gewöhnlicher Tag, würde ich sagen.«
»Du weißt, daß es nichts Persönliches ist«, versicherte ihr Doro sanft. »Er war nicht immer so.«
Caroline stellte die Dusche ab und setzte sich auf den Wannenrand.
Doro nickte in Richtung des beschlagenen Fensters. Phoebes Hände wirkten vor ihrem Mantel wie kleine fahle Sterne. »Das ist unser Spielplatz gewesen, bevor sie die Autobahn dahin verlegt haben. Weißt du, daß in diesen Bäumen sogar Reiher genistet haben? In
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