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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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brauchen nichts zu befürchten und sind glücklich. Ich habe eine gute Anstellung gefunden. Phoebe ist im großen und ganzen ein gesundes Baby, abgesehen von häufigen Atemwegserkrankungen. Ich schicke Fotos mit. Bis jetzt, toi, toi, toi, hat sie keine Probleme mit dem Herzen.

    Sie sollte ihn abschicken. Sie hatte den Brief schon vor Wochen geschrieben, aber jedesmal wenn sie ihn einwerfen wollte, dachte sie an Phoebe und daran, wie es sich anfühlte, wenn ihre Hände sie sacht berührten, oder an die gurrenden Laute, die sie von sich gab, wenn sie glücklich war, und dann konnte sie es einfach nicht. Nun räumte sie den Brief wieder fort, legte sich hin und war schon bald in den Schlaf gesunken. Im Halbschlaf träumte sie vom Wartezimmer der Klinik. Hitze bewegte die Blätter der Pflanzen, und sie schreckte hoch, fühlte sich unwohl und wußte nicht, wo sie war.
    »Hier«, sagte sie zu sich selbst und befühlte die kühlen Laken. »Hier bin ich.«
    Als Caroline aufwachte, war der Raum voller Sonnenlicht, und laute Trompetenmusik dröhnte von irgendwoher. In ihrer Wiege versuchte Phoebe danach zu greifen, als ob die Töne kleine geflügelte Gegenstände, wie Schmetterlinge oder Glühwürmchen, wären, die sie fangen könnte. Caroline zog |128| erst sich und dann Phoebe an, bevor sie sie mit nach unten nahm. Im zweiten Stock, wo Leo March sich in seinem sonnigen gelben Büro niedergelassen hatte, legte sie eine Pause ein. Rings um seine Liege, auf der er, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen und an die Decke starrend, ruhte, stapelten sich Bücher. Caroline beobachtete ihn von der Tür aus – ihr war es nicht erlaubt, den Raum ohne Einladung zu betreten –, aber er bemerkte sie nicht. Dort lag ein alter Mann mit einem grauen Haarkranz, der immer noch die Sachen vom Vortag trug und konzentriert der Musik lauschte, die aus den Lautsprechern dröhnte und das ganze Haus erschütterte.
    »Wollen Sie frühstücken?« schrie sie.
    Er winkte ab, was heißen sollte, daß er es sich selbst holen wolle. Na gut.
    Caroline lief den letzten Treppenlauf hinunter und stellte die Kaffeemaschine an. Sogar hier waren die Trompeten schwach zu hören. Sie setzte Phoebe in ihren Hochstuhl und fütterte sie mit Apfelmus, Ei und Hüttenkäse. Dreimal reichte sie ihr den Löffel; dreimal schepperte er auf das Metalltablett.
    »Das macht nichts«, sagte Caroline laut, aber sie fühlte sich benommen. Doros Stimme hämmerte in ihrem Kopf:
Was soll aus ihr werden?
Wie sollte es weitergehen? Mit elf Monaten hätte Phoebe eigentlich dazu fähig sein müssen, kleine Gegenstände zu ergreifen.
    Sie räumte die Küche auf und ging ins Eßzimmer, um die Wäsche von der Leine abzunehmen und zusammenzulegen. Phoebe lag auf ihrem Rücken im Laufgitter, gurrte und schlug gegen die Ringe und Spielsachen, die Caroline über ihr aufgehängt hatte. Von Zeit zu Zeit unterbrach Caroline ihre Arbeit, um die leuchtenden Objekte wieder zurechtzurücken, in der Hoffnung, daß Phoebe sich, von ihrem Glänzen angelockt, auf den Bauch drehen würde.
    Nach ungefähr einer halben Stunde hörte die Musik unvermittelt auf, und Leos Füße, die in präzise geschnürten und |129| polierten Lederschuhen steckten, tauchten auf der Teppe auf. Einen Augenblick lang blitzte ein blasser nackter Knöchel unter seinen Hosenbeinen, die mehrere Zentimeter zu kurz waren, hervor. Stück für Stück kam er ganz zum Vorschein – ein großer Mann, der einst dick und muskulös gewesen war und dessen Fleisch nun schlaff an seinen Knochen herunterhing.
    »Oh, gut«, nickte er anerkennend in Richtung der Wäsche. »Wir haben ein Dienstmädchen gebraucht.«
    »Frühstück?« fragte sie.
    »Ich werde es mir selbst holen.«
    »Dann lassen Sie sich dabei nicht stören!«
    »Bis zum Mittag werde ich Sie gefeuert haben«, rief er aus der Küche.
    »Machen Sie weiter«, ermahnte sie ihn streng.
    Töpfe polterten, und der alte Mann fluchte. Caroline stellte sich vor, wie er sich bückte, um die verhedderten Kochutensilien zurück in den Schrank zu schieben. Sie sollte ihm zu Hilfe kommen. Aber nein – soll er allein damit fertig werden. In den ersten Wochen hatte sie Angst davor gehabt, ihm zu widersprechen. Es war ihr schwergefallen, nicht jedesmal aufzuspringen, wenn Leonard March rief, bis Doro sie zur Seite genommen und ihr erklärt hatte, daß sie kein Dienstmädchen wäre. »Sie sind mir verantwortlich und müssen ihm nicht immer zur Verfügung stehen. Sie machen Ihre Sache gut, und

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