Die Tochter des Fotografen
Handgelenk. »Bei deiner und Pauls Allergie wollte ich kein Risiko eingehen.«
»Es ist ein wunderbares Fest«, lobte er sie. Dann führte er, einer Eingebung folgend, ihr Handgelenk an seine Lippen und küßte sie zärtlich auf die Stelle, an der sie gestochen worden war. Freudig überrascht, weiteten sich ihre Augen, während sie ihn beobachtete. Dann zog sie ihre Hand weg.
»David«, sagte sie sanft. »Um Himmels willen. Nicht hier und jetzt.«
»Hallo Papa«, rief Paul, und David sah sich um, wobei er versuchte, seinen Sohn zu orten. »Mama, Papa, seht mal her. Schaut, was ich hier mache!«
»Er sitzt im Hackberry«, stellte Norah, die die Augen mit der Hand beschattete, fest und deutete auf den Baum. »Siehst du, da oben, auf halber Strecke zur Krone. Wie ist er da bloß hochgekommen?«
»Ich wette, er ist von der Schaukel aus dorthin geklettert. He!« rief David und winkte ihm zu.
»Komm sofort herunter!« befahl Norah. Und zu David sagte sie: »Er macht mich noch verrückt.«
»Er ist ein Kind«, beschwichtigte sie David. »Kinder klettern nun mal auf Bäume. Er wird sich nichts tun.«
»Hallo Mama! Papa! Hilfe!« rief Paul, aber als sie zu ihm hochsahen, lachte er.
»Erinnerst du dich daran, wie er das im Gemüseladen gemacht hat?« fragte ihn Norah. »Wie er, als er zu sprechen anfing, |201| mitten im Laden immer ›Hilfe!‹ gerufen hat? Die Leute haben gedacht, ich will ihn entführen.«
»Auch in der Klinik hat er mal ›zu Hilfe‹ gerufen«, fiel es David wieder ein. »Weißt du noch?«
Sie mußten beide lachen, und David war froh.
»Leg die Kamera weg«, bat sie ihn noch einmal und drückte seinen Arm.
»Ja«, versprach er. »Das mache ich.«
Bree war zum Maibaum hinübergeschlendert, wo sie ein purpurfarbenes Band aufob. Ein paar andere Gäste hatten sich dazugesellt. David hatte die flatternden Enden der Bänder im Auge, als er sich auf den Weg zurück zur Garage machte. Da hörte er ein plötzliches Rauschen, die Blätter bewegten sich, und ein Ast zerbarst mit lautem Krachen. Er sah, wie Bree ihre Arme hochriß und wie das Band von ihren Händen glitt. Dann trat eine lang anhaltende Stille ein, bis Norah aufschrie. David hatte sich rechtzeitig genug umgedreht, um Paul dumpf auf dem Boden aufschlagen zu sehen. Er sah, wie er leicht auf seinen Rücken zurückprallte, wobei seine Crinoide sich am Boden zerstreuten. Sein Seelilienhalsband war gerissen. David rannte und schubste sich durch die Gästemenge, bis er an der Seite seines Sohnes kniete. Pauls Augen, wie die Norahs dunkelgrün, waren vor Angst weit aufgerissen. Er griff nach Davids Hand und atmete schwer.
»Alles ist gut«, beruhigte ihn David, während er Pauls Stirn glattstrich. »Du bist vom Baum gefallen, und der Atem ist dir ausgegangen, das ist alles. Beruhige dich. Atme einfach weiter. Es wird alles wieder gut.«
»Wie geht es ihm?« fragte Norah, während sie sich in ihrem korallenroten Seidenkostüm neben ihm niederließ. »Paul, mein Kleiner, wie geht es dir?«
Paul schnappte nach Luft und hustete. Tränen standen in seinen Augen. »Mein Arm tut weh«, stieß er hervor, als er wieder sprechen konnte. Er war blaß, und auf seiner Stirn |202| zeichnete sich eine dünne blaue Vene ab. David merkte, daß Paul mit den Tränen kämpfte. »Mein Arm tut sehr weh.«
»Welcher Arm?« fragte David so ruhig, als würden sie über das Wetter sprechen. »Kannst du mir zeigen, wo es weh tut?«
Es war sein linker Arm, und als David ihn vorsichtig anhob, schrie Paul vor Schmerz auf.
»David!« rief Norah aufgeregt. »Ist er gebrochen?«
»Ich weiß es noch nicht«, sagte er ruhig, obwohl er fast sicher war, daß er gebrochen war. Er setzte Pauls Arm sanft auf dessen Brust ab und legte tröstend eine Hand auf Norahs Rücken. »Paul, ich werde dich gleich hochheben und ins Auto tragen. Und dann gehen wir in meine Praxis, einverstanden? Ich werde dir einiges über Röntgenstrahlen erzählen.«
Langsam und vorsichtig hob er Paul hoch. Er war sehr leicht. Ihre Gäste bildeten eine Gasse. David legte Paul auf die Rückbank seines Wagens, nahm eine Decke aus dem Kofferraum und schlug sie fest um ihn.
»Ich komme mit«, sagte Norah, während sie neben ihn auf den Beifahrersitz glitt.
»Und was ist mit dem Fest?«
»Es gibt unendlich viel zu essen und zu trinken«, erklärte sie. »Sie werden es schon finden.«
Sie fuhren durch die klare Frühlingsluft zum Krankenhaus. Ab und zu ärgerte Norah ihn noch immer, indem sie ihm die Nacht
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