Die Tochter des Fotografen
war ganz Stimme, kaum mehr als ein Schatten neben ihr, und seine Worte waren durchdringend wie Pauls Musik; sie hüllten sie ein und erklangen gleichzeitig in ihrem Inneren. David schenkte ihnen Wein nach und wechselte das Thema, woraufhin sie sich erhoben und in das hell erleuchtete Wohnzimmer traten, wo David seine Serie von Schwarzweißfotografien aus der Mappe zog. Darauf verfielen Howard und er in eine intensive Diskussion über die Qualität des Lichtes.
Norah blieb sitzen. Die Fotografien, über die sie sprachen, zeigten sie: ihre Hüften, ihre Haut, ihre Hände und ihr Haar. Trotzdem war sie vom Gespräch ausgeschlossen, war Objekt, nicht Subjekt. Bisweilen, wenn sie in Lexington ein Sprech- oder Vorzimmer betrat, fand Norah dort ein anonymes Foto vor, das ihr gleichzeitig beängstigend vertraut war – es zeigte eine Kurve ihres Körpers oder einen Ort, an dem sie mit David gewesen war. Ihr Körper war auf den Bildern seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt, er war zu einem abstrakten Gedanken geworden. Indem sie für David Modell stand, hatte Norah versucht, die Distanz, die zwischen ihnen gewachsen war, zu verringern. Dabei hatte es für sie keine Rolle gespielt, wer die Schuld an ihrer Entfremdung |243| trug, sie oder er. Wenn sie ihn aber jetzt so ansah, vertieft in seine Erklärungen, verstand sie, daß er sie nicht wirklich sah und jahrelang nicht gesehen hatte.
Sie wurde so wütend, daß sie zitterte, und verließ das Wohnzimmer. Seit dem Tag, an dem sie die Wespen vernichtet hatte, hatte sie sehr wenig getrunken. Jetzt aber ging sie in die Küche und goß ihren roten Plastikbecher randvoll mit Wein. Um sie herum stapelten sich schmutzige Töpfe und feuerrote Hummerschalen, die wie Panzer toter Zikaden aussahen. Soviel Arbeit für ein so kurzes Vergnügen! Für gewöhnlich machte David den Abwasch, aber heute abend band Norah sich eine Schürze um die Taille, füllte das Waschbecken und stellte die Reste der Austernsuppe in den Kühlschrank. Im Wohnzimmer wurde die Unterhaltung fortgesetzt, und die Stimmen hoben und senkten sich wie das Meer. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, als sie in dieses Kleid geschlüpft war und sich von Howards Stimme hatte bezaubern lassen? Sie war Norah Henry, die Frau von David und die Mutter von Paul, der beinahe erwachsen war. In ihrem Haar zeigten sich schon die ersten grauen Strähnen, die allerdings kaum jemand außer ihr bemerken würde, da auch sie sie nur sah, wenn sie im grellen Licht des Badezimmers die Augen zusammenkniff. Howard war nur gekommen, um mit David über Fotografie zu reden. So einfach war das.
Sie ging nach draußen, um den Müll wegzuwerfen. Der Sand unter ihren nackten Füßen war kühl, die Luft dagegen immer noch warm. Norah trat ans Ufer des Meeres und starrte auf die lebendige Kuppel der Sterne. Sie schlug die Fliegengittertür zu. David und Howard kamen heraus.
»Danke für den Abwasch«, sagte David. Er strich ihr kurz über den Rücken, und sie spannte ihre Muskeln an und mußte sich bemühen, nicht wegzuzucken. »Entschuldige, daß ich dir nicht geholfen habe, aber wir waren so ins Gespräch vertieft. Howard hat einige sehr gute Ideen.«
»Eigentlich war ich von Ihren Armen fasziniert«, bemerkte |244| Howard und bezog sich damit auf Hunderte von Fotografien, die David gemacht hatte. Er hob ein Stück Treibholz auf und warf es weit hinaus. Sie hörten es platschen und vernahmen das Schmatzen der Wellen, die es auf das Meer hinauszogen.
Das Haus hinter ihnen leuchtete wie eine Laterne und warf einen hellen Kreis auf den Sand, aber sie standen alle drei in vollkommener Dunkelheit, so daß Norah Davids oder Howards Gesicht oder ihre eigenen Hände nicht erkennen konnte. Die Nacht war von schattenhaften Umrissen und körperlosen Stimmen bevölkert. Das Gespräch plätscherte dahin und kehrte zu Techniken und Verfahren zurück. Gleich würde sie schreien müssen. Statt dessen trat sie einen Schritt zurück und war im Begriff zu verschwinden, als eine Hand plötzlich über ihren Oberschenkel fuhr. Erschrocken hielt sie inne und wartete. Im nächsten Moment glitten Howards Finger behend am Saum ihres Kleides hoch, und dann wanderte seine Hand in ihre Tasche, und sie spürte eine plötzliche geheime Wärme auf ihrer Haut.
Norah hielt den Atem an. David sprach weiter von seinen Bildern. Sie trug noch immer die Schürze, und es war sehr dunkel. Nach einer Weile drehte sie sich leicht, und durch den dünnen Stoff über ihrem flachen Bauch
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