Die Tochter des Fotografen
gegenüberstand, hob sein Kinn und lächelte in ihre Richtung.
Einen Augenblick lang, bevor die anderen sich umwandten und bevor Howard die Weinflasche anhob und sie in ihre Hände gleiten ließ, trafen sich ihre Blicke. Der Moment existierte nur für sie beide und konnte später nicht mehr nachgewiesen werden. Und er war echt, er war in der Dunkelheit seiner Augen, in seinem Gesicht und ihrem aufgehoben, die sich einander in freudigem Versprechen öffneten, während die Welt um sie herum mit der Brandung mitgerissen wurde.
David drehte sich lächelnd um, und der Moment war vorbei, als wäre eine Tür zugeschlagen worden.
»Es ist ein Weißwein«, erklärte Howard, als er ihr die Flasche übergab. Norah war erschrocken darüber, wie durchschnittlich Howard auf einmal wirkte; ihr fiel auf, daß seine Koteletten lächerlich lang waren und über seine halbe Wange reichten. Geheimnis und Gefahr – hatte sie sie wirklich verspürt? – waren wie weggeblasen. »Ich hoffe, er paßt zum Essen.«
»Perfekt«, sagte sie. »Es gibt Hummer.« Was für ein durchschnittliches Gespräch. Der bestürzende Moment lag weit zurück, und sie gab die liebenswürdige Gastgeberin, eine Rolle, in die sie so leicht geschlüpft war wie in ihr Nichts von Kleid. Howard war ihr Gast; sie zog einen Korbstuhl heran und bot ihm einen Drink an. Als sie mit einem Tablett voller Flaschen mit Gin und Tonic und einem Eiskübel zurückkam, hatte die Sonne die Wasserkante erreicht. Wolken in luftigen Rosa- und Pfirsichtönen bauschten sich hoch am Himmel.
Sie aßen auf der Terrasse. Es wurde schnell dunkel, und David zündete die Kerzen an, die in Abständen auf der Brüstung standen. Weiter draußen brach die Flut herein, und |241| Wellen schlugen unsichtbar auf das sandige Ufer. Im flackernden Licht lauschte sie auf Howards Stimme, die höher wurde und tiefer und wieder höher. Er sprach über eine Camera obscura, die er einst gebaut hatte. Sie bestand aus einer Mahagonikiste, die bis auf ein Loch von der Größe einer Nadelspitze alles Licht ausschloß. Dieser Nadelstich jedoch sandte ein winziges Bild auf einen Spiegel. Das Instrument war ein Wegbereiter der Kamera, und einige Maler – unter ihnen Vermeer – hatten es benutzt, um einen ungewöhnlich hohen Grad an Genauigkeit in ihren Bildern zu erreichen. Auch das war Gegenstand seiner Studien.
Norah trieb in die Nacht, beeindruckt von den Bildern, die er heraufbeschwor: die Welt, auf einen Schirm geworfen, winzige Figuren, gefangen im Licht, die sich bewegten. Das war so anders als ihre Sitzungen mit David, bei denen der Fotoapparat sie am Ort und in der Zeit festzuhalten schien. Während sie in der Dunkelheit an ihrem Wein nippte, verstand sie, daß das der Kern ihrer Probleme war.
Irgendwo auf ihrem gemeinsamen Weg waren David und sie steckengeblieben. Nun umkreisten sie einander; jeder ein Gefangener seiner eigenen Umlaufbahn. Das Gesprächsthema wechselte, und Howard erzählte Geschichten aus der Zeit, als er als Armeefotograf in Vietnam gewesen war, wo er den Kriegsverlauf dokumentiert hatte. »Ehrlich gesagt, war vieles langweilig«, erklärte er, als Paul seine Bewunderung ausdrückte. »Die meiste Zeit bin ich nur den Mekong rauf und runter geschippert. Immerhin ist es ein außergewöhnlicher Fluß und ein außergewöhnlicher Ort.«
Nach dem Essen ging Paul in sein Zimmer. Ein paar Minuten später mischten sich die Klänge seiner Gitarre in das Geräusch der Wellen. Ursprünglich hatte er nicht mit ihnen fahren wollen – er hatte eine Woche im Musikcamp dafür aufgeben müssen und sollte ein paar Tage nach ihrer Rückkehr ein wichtiges Konzert geben. Trotzdem hatte David darauf bestanden, daß er mitkam; er nahm Pauls musikalischen Ehrgeiz |242| nicht ernst. Die Musik konnte wohl Pauls Hobby sein, nicht aber sein Beruf. Doch Paul spielte mit solcher Leidenschaft Gitarre, daß er fest dazu entschlossen war, auf die Juilliard zu gehen. David, der schwer gearbeitet hatte, um ihnen jede erdenkliche Annehmlichkeit zu bieten, reagierte jedesmal gereizt, wenn dieses Thema aufkam. Nun schwebten Pauls Noten anmutig durch die Luft, und doch war jede wie ein kleiner Schnitt, wie eine Messerspitze, die sich ins Fleisch bohrte.
Das Gespräch wechselte von der Optik hin zu dem besonderen Licht im Flußtal des Hudson, wo Howard lebte; er sprach auch von Südfrankreich, das er gern besuchte. Er beschrieb eine enge Straße, von der feiner Staub aufflog, und Felder mit leuchtenden Sonnenblumen. Er
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