Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
Sohn leichter zu fassen bekam.
Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich unsere Blicke. Ich sah, wie Rocco zögerte, wie er überlegte, wie er uns beide gleichzeitig festhalten konnte, aber das war nicht möglich. Mit all meiner Kraft, mit der letzten Anstrengung, zu der ich fähig war, zog ich Nando in die Höhe, sodass sein Vater ihn ergreifen konnte.
Gewaltsam riss Rocco seinen Blick von mir los. Er streckte den Arm aus und packte seinen Sohn. Ich hörte, wie der Kleine stöhnte, hörte seinen Vater seinen Namen flüstern. Und dann meinen leisen Aufschrei, als sich meine Hände lösten. In derselben Sekunde, in der ich das Kind ins Leben zurückholte, überließ ich mich dem Schicksal, das Gott für mich bestimmt hatte.
36
Cesare rettete mich.
Im letzten Augenblick ließ er von Morozzi ab, warf sich in Richtung des Lochs und packte mich gerade noch, bevor ich in den sicheren Tod gestürzt wäre.
Ich zitterte am ganzen Leib, nachdem Cesare mich hochgezogen hatte, und sah gerade noch, wie der Irre in der Dunkelheit verschwand. Ich wollte schreien, die Aufmerksamkeit auf den Priester lenken, doch meine Kehle war staubtrocken. Nach dem Schrecken war ich wie gelähmt. Obgleich einige von Cesares Soldaten die Verfolgung aufnahmen, blieb Morozzi verschwunden.
Aber Nando lebte und war in Roccos Armen in Sicherheit. Der Junge schien benommen zu sein, als ob man ihn betäubt hätte, aber sonst fehlte ihm zum Glück nichts. Rocco hielt seinen Sohn fest an sich gedrückt und sah mich über das zerzauste Haar hinweg an. Freude und Erleichterung stiegen in mir auf, doch sie versiegten augenblicklich, als ich seinen düsteren Gesichtsausdruck bemerkte. Er warf mir einen vernichtenden Blick zu, und mir war bewusst, dass ich seine Verachtung verdient hatte. Wortlos wandte er mir den Rücken zu und eilte mit Nando davon.
Ich erinnere mich vage, dass Cesare mich über die enge Treppe nach unten trug. Dabei brummelte er etwas über den Leichtsinn der Frauen vor sich hin … Aber ich hörte ihn kaum. Es schmerzte mich viel zu sehr, dass ich Rocco verloren hatte. Meinen Freund Rocco … und, verzeiht meinem dummen Herzen, vielleicht war er sogar mehr als ein Freund. So versinken die Sehnsüchte, die man sich selbst nicht eingestehen will, tief im Unterbewusstsein. Cesare betrat die Basilika genau in dem Moment, als sich die Würdenträger der Kirche und die Mitglieder der vornehmen Familien zur Trauermesse einfanden. Der Anblick eines finsteren Kriegers mit einer benommenen Frau auf dem Arm trug uns zwar einige erstaunte Blicke ein, aber Cesare ging darüber hinweg und bahnte sich eilig den Weg durch die Menge, bis wir endlich an die frische Luft kamen.
Er setzte mich an einem kleinen Brunnen am Rand des Platzes vor dem Vatikan ab. Im vergeblichen Versuch, mein haltloses Zittern zu unterdrücken, schlang ich die Arme fest um meinen Körper. Cesare kniete nieder, tauchte ein Tuch ins Wasser und wusch mir mit ruhigen Bewegungen den Schmutz vom Gesicht. Seine Berührungen waren zart und tröstlich, sie schienen gar nicht zu ihm zu passen.
»Seid Ihr verletzt?«, fragte er, als ich wieder Luft bekam. Ich öffnete die Augen und schüttelte den Kopf. Rocco hatte mir zwar mit einem einzigen Blick das Herz gebrochen, aber außer diesem Schmerz war ich erstaunlich unversehrt.
»Ihr seht aber so aus.«
Ich erwiderte nichts darauf, sondern schüttelte erneut den Kopf. Für gewöhnlich schenkte Cesare den Nöten anderer
Menschen kaum Beachtung, aber heute überraschte er mich mit großer Einfühlsamkeit.
»Es ist der Glasmacher, nicht wahr?«
Erneut versuchte ich, alles abzustreiten, aber die Tränen hatten Spuren auf meinen Wangen hinterlassen.
»Ah, Francesca, il mio dio !«
»Das macht doch nichts«, sagte ich rasch und wischte mir die Tränen vom Gesicht. Seit ich Rocco um Hilfe gebeten hatte, fragte ich mich manchmal, ob mein Leben auch anders verlaufen, die Mauer um mich herum vielleicht eines Tages aufbrechen und ich daraus heraustreten könnte – allerdings nicht in meinen Alptraum, sondern ins Licht.
Stattdessen hatte ich einen wunderbaren Menschen dazu gebracht, nicht nur sein Leben, sondern auch das seines Sohnes aufs Spiel zu setzen. Keine Sekunde glaubte ich, dass Rocco mir jemals vergeben könnte. Ich verdiente das auch gar nicht. Lieber sollte ich mich mit den Tatsachen abfinden. Morozzi und ich hatten eines gemeinsam: Wir waren beide Kreaturen der Dunkelheit und verdammt, darin zu verharren, bis der Tod
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