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Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison

Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison

Titel: Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Poole
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dem romantischen Boccaccio oder dem lyrischen Petrarca zufriedengeben? Warum hatte ich mich nicht an den meisterhaften Versen eines Lorenzo de’ Medici ergötzt, dieses Prinzen und Visionärs, der erst vor zwei Monaten gestorben war? Übrigens durch Gift, wie man sagte. Warum hatte ich stattdessen meine Seele mit den Leiden und Folterungen der Verdammten belastet, die der Dichter der La Divina Commedia so lebendig schilderte?
    In der Folterkammer von Rodrigo Borgia schienen die Qualen von Fegefeuer und Hölle lebendig zu werden. Eisenpfannen voll rotglühender Kohlen auf hohen dreifüßigen Geräten neben einer langen Reihe von Werkzeugen, die nur dazu ersonnen waren, ihren Opfern die größtmöglichen Qualen zu bereiten. Flüchtig glitt mein Blick über Streckbänke, Haken, Ketten, Zangen und eiserne Jungfrauen. Doch ich nahm sie nicht wirklich wahr, weil mein Blick längst unlösbar auf dem nackten Mann haftete, der auf einem Foltergestell gefesselt war und aus Leibeskräften brüllte.
    » Muttergottes, hilf mir! Jesus, hilf mir! Muttergottes, rette mich! Jesus …«
    Er brach ab, weil er fast an seinem eigenen Blut erstickt wäre. Sein Gesicht war durch Schläge unförmig angeschwollen, und sein Oberkörper und seine Glieder wiesen zahllose tiefe Schnitte auf, dass man an manchen Stellen die Knochen zu sehen meinte. Beine, Arme und Schultern waren überdehnt und grotesk verrenkt oder gebrochen. Man hatte ihn schwer misshandelt, ihm Brandwunden zugefügt, ihn entmannt und die Wunde kauterisiert, sodass er nicht einmal verbluten konnte. Wahnsinnig vor Angst und Schmerz
wand er sich hilflos in seinen Fesseln, und sein Brustkorb hob und senkte sich in Krämpfen.
    Einer der Inquisitoren beugte sich über ihn und hob seinen Kopf so weit an, dass er mich sehen konnte.
    »Sag der Signorina, was du uns gesagt hast!«, befahl der Folterknecht.
    Vittoro schob mich ein Stück nach vorn. Ich stolperte, doch er ergriff meinen Arm und bewahrte mich vor einem Sturz.
    »Sag es ihr!«, wiederholte der Folterknecht und drehte den Kopf so weit herum, dass sein Opfer laut aufheulte.
    »Innozenz! Er war es! Er hat den Tod Eures Vaters befohlen! «
    Von unsichtbaren Kräften getrieben, trat ich näher. Der Gestank nach Blut und verschmortem Fleisch überfiel mich mit aller Macht. Ich starrte in das schmerzverzerrte Gesicht und fühlte … nichts? Nein, das war nicht richtig. Ich spürte etwas, aber das Gefühl war unendlich weit von dem Entsetzen und dem tiefen Mitleid entfernt, das meine Seele soeben noch empfunden hatte. Stattdessen erfüllte mich eine heulende, dunkle Leere, die mich entsetzt hätte, hätte ich noch etwas gefühlt.
    Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie etwas Goldenes aufblitzte. Vittoro hob eine Kette in die Höhe. Eine Gedenkmünze baumelte daran, die ich nur zu gut kannte.
    »Die haben sie ihm abgenommen«, sagte er und drückte mir die Papstmünze in die Hand.
    Meine Finger schlossen sich um die Münze, und ich starrte auf das Bündel hinunter, das einmal ein Mann gewesen war. Wie aus großer Ferne drang meine Stimme an mein Ohr.

    »Der Papst hat den Tod meines Vaters befohlen? Habe ich das richtig verstanden?«
    »Ja, ja!«, schluchzte der Mann. »Um Himmels willen, helft mir!«
    Ich hörte ihn kaum, denn im selben Augenblick löste sich eine in Rot und Gold gewandete Gestalt aus dem Schatten. Die mächtigen Schultern verdeckten das Licht, sodass es um mich herum dunkel wurde. Seine Eminenz, Kardinal Rodrigo Borgia und Anwärter auf den Thron der Heiligen Mutter Kirche, lächelte mir zu.
    »Helft ihm«, sagte er und reichte mir ein Messer, das er aus den Falten seines Gewands hervorgezogen hatte.
     
    Ich kann mich nicht erinnern, wie ich nach oben gekommen bin. Als ich wieder etwas wahrnahm, saß ich im Arbeitszimmer des Kardinals, und zwar auf demselben Stuhl, auf dem ich Stunden zuvor gesessen hatte. Die Münze war noch immer in meiner Hand. Ich hielt sie so fest umklammert, dass sich ein Abdruck auf meiner Handfläche gebildet hatte.
    Meine andere Hand war mit Blut beschmiert.
    Das Messer war nirgendwo zu sehen.
    Vittoro reichte mir ein Glas mit Branntwein.
    »Trinkt das.« Ich gehorchte und leerte das Glas in einem Zug.
    Ich fror, was angesichts der warmen Nacht lächerlich war. Es musste geregnet haben, denn die Terrasse vor den hohen Fenstern schimmerte feucht im Mondlicht. Hatte sich die Welt etwa normal weitergedreht, während mein Innerstes in den Grundfesten erschüttert worden war?
    Borgia saß

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