Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
dafür sprach, dass der Kardinal jemals gütig gewesen wäre.
»Was glaubt Ihr?«, stellte er die Gegenfrage.
Er spielte mit mir. Natürlich. Aber ich spürte, dass mehr dahintersteckte. Ich hatte zwar zehn Jahre lang unter seinem Dach gelebt, aber für ihn war ich noch immer eine Fremde. Zumindest in meiner neuen Stellung als Giftkundige. Natürlich wollte er meinen Eifer prüfen.
»Vermutlich wusstet Ihr von der Freundschaft zwischen meinem Vater und Sofia Montefiore.« Mein Vater hatte mir gegenüber nie etwas davon erwähnt. »Ihr seid davon ausgegangen, dass mein Vater sich um das Geschick der Juden kümmern und sie vor dem Edikt warnen würde.«
»Und weshalb sollte ich wollen, dass man sie warnt?«
Ja, weshalb? Borgia hatte keine besondere Vorliebe für
dieses Volk. Was kümmerte es ihn also, ob sie lebten oder starben?
Sekunden später wusste ich die Antwort. Und fragte mich, warum ich etwas so Offensichtliches nicht früher erkannt hatte. Um in dieser Welt zu überleben, benötigte man Macht. Und um voranzukommen, erst recht. Hatte ich nicht selbst alles daran gesetzt, Macht zu erlangen, um meinen Vater rächen zu können? Wie viel weiter würde da erst ein Mann wie Rodrigo Borgia gehen?
»Die Juden sind nicht arm«, sagte ich. Die Lebensumstände im Ghetto waren ja keine sichtbare Folge von Armut, sondern hingen unmittelbar mit den zahllosen Vorschriften zusammen, wo und wie die Juden zu leben und zu arbeiten hatten. Aus eigener Kraft wären sie durchaus in der Lage, sich selbst zu unterhalten.
Um die höchste Machtposition zu erreichen, wie Rodrigo Borgia sie anstrebte, benötigte man Geld. Und zwar viel Geld.
»Ihr habt den Juden Eure Unterstützung zugesagt.« Ich mochte mir gar nicht ausmalen, welche Reichtümer den Besitzer gewechselt hatten, bis Borgia bereit war, sein Wohlwollen auch auf die sonst so verachteten Juden auszudehnen. Sicher eine gewaltige Menge.
» Falls ich zum Papst gewählt werde«, schränkte Borgia ein. »Falls nicht, kann ich nicht viel für sie tun. Mit einem ausreichend großen Vermögen kann ich mir die Papstwürde erkaufen.«
»Sobald Innozenz tot ist.« Ich hatte das Gefühl, ihn an diese kleine Voraussetzung erinnern zu müssen.
Er schmunzelte, als ob sein Schüler doch flinker denken könnte als gedacht.
»Richtig, Francesca, sobald Innozenz tot ist.«
Meine Handflächen waren feucht, und sicherlich verriet meine Stimme meine Aufregung. Ich holte Luft, um mich zu beruhigen.
»Für meinen Vater war es eine Sache, die Juden vor dem Edikt zu warnen. Aber einen Papst zu töten …«
Borgia trank noch einen Schluck Wein und lächelte. Ohne eine Miene zu verziehen, ohne Vorwarnung, sagte er ruhig:
»Euer Vater war ein converso . Wusstet Ihr das?«
Völlig verblüfft starrte ich ihn an und wusste nicht, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Ich kannte meinen Vater. Er hatte mich als mutterloses Kind großgezogen, meine Sicht der Welt geschärft, mir alle Weisheit gegeben, die er besaß, und mich stets zu vollkommener Ehrlichkeit erzogen.
Doch von seiner Freundschaft zu einer Jüdin und ihrem verstorbenen Mann hatte er mir nichts gesagt. Und auch nichts von seinem Wunsch, das Volk Israel zu schützen.
Nein, es konnte einfach nicht wahr sein, dass mein Vater einer von ihnen war. Ein Jude, der zum Christentum konvertiert war. Ein verdächtiger Überläufer, der unheilige Rituale mied, aber vorgab, einer von uns zu sein. Ein Kandidat für die Flammen, die Häretiker vernichteten.
»Ich glaube Euch nicht.« Meine Stimme klang schrill und angespannt, aber das konnte ich nicht ändern. Man hatte mir einen Schlag verpasst, den ich kaum verkraften konnte.
Borgia war nicht beleidigt. Er zuckte nur die Achseln.
»Soweit ich weiß, hat er es ernst gemeint. Es sind schon schlimmere Dinge vorgefallen. Euer Vater wurde als Jude in Mailand geboren. Später verliebte er sich in ein christliches Mädchen, Eure Mutter, und ist ihr zuliebe konvertiert.
Nach ihrem Tod ist er jedoch dem Christentum treu geblieben und hat Euch im wahren Glauben erzogen.« Er fixierte mich. »Jedenfalls hat er mir das versichert.«
»Ich bin Christin«, bestätigte ich. Zwar nicht besonders fromm und kein Beispiel für andere, aber auch keine von denen . Keine von denen, die uns als Sündenbock für unsere Verfehlungen dienen.
»Wenn Ihr das sagt.« Meine Erklärung schien Borgia nicht besonders zu berühren. »Aber auf jeden Fall seid Ihr die Tochter Eures Vaters.«
Und das bedeutete für ihn,
Weitere Kostenlose Bücher