Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
keine Steine auf sie herabfielen. Trotzdem hatten mein Vater und ich die Basilika regelmäßig besucht. Uns verband eine große Liebe zu alten Kunstwerken, von denen das über tausend Jahre alte Gotteshaus eine Fülle zu bieten hat.
Wie immer wimmelte es auf dem Platz vor der Basilika von Priestern, Kaufleuten, Anwälten und Besuchern. Einige verweilten im Vorraum und betrachteten das wunderschöne Navicella-Mosaik mit den Darstellungen aus dem Leben des heiligen Petrus. Doch ich drängte mich an ihnen vorbei ins Innere und blickte das Kirchenschiff entlang bis zum Hauptaltar. Ich habe bereits gesagt, dass ich nicht fromm bin, doch selbst ich konnte mich der großartigen Wirkung nicht entziehen, als ich inmitten der Säulen stand, die Kaiser Konstantin, wie man sagte, eigenhändig aus Salomons Tempel nach Rom gebracht hatte.
Doch all dieser Glanz war nicht für mich bestimmt, und ich ging zu einem der zahlreichen Altäre im Seitenschiff hinüber. Der Altar war der heiligen Katharina von Siena geweiht, die der Überlieferung nach eine mystische Hochzeit mit Christus gefeiert und ihr Leben den Armen und Kranken gewidmet hatte. Mein Vater hatte mir früher einmal eine alte Münze geschenkt, die anlässlich ihrer Heiligsprechung vor zwanzig Jahren geprägt worden war und meiner Mutter gehört hatte. Ich besitze sie noch immer.
In der Abgeschiedenheit des Seitenschiffs versuchte ich zu beten. Mein Begleiter entfernte sich einige Schritte, um mir die nötige Ruhe zu lassen, aber wie immer kamen
mir die Worte nicht leicht über die Lippen. Je länger ich das Gemälde der Heiligen über den flackernden Kerzen betrachtete, desto mehr begab sich mein Geist auf Wanderschaft. Ich dachte an den Spanier und an den Mann mit der Papstmünze meines Vaters, an Borgia und Innozenz, an die Juden, besonders an Sofia und David, und zuletzt auch an Cesare, der jedoch gleich darauf dem Gedanken an Rocco wich. Ich habe fürwahr einen unruhigen Geist. Als ich mich bemühte, ihn wieder in angemessenere Bahnen zu lenken, war plötzlich das Gefühl wieder da, dass jemand mich beobachtete.
Während ich mit gefalteten Händen zu der Heiligen aufsah, war meine Aufmerksamkeit auf meine Umgebung gerichtet. Erst vernahm ich links von mir ein leises Rascheln, dann hinter mir. Ein Hauch von Kampfer und Zitrone hing in der Luft. Ich lauschte angestrengt … und hörte leises Atmen.
Ich stand auf und drehte mich abrupt um. Durch die ruckartige Bewegung machten sich meine gequälten Rippen bemerkbar. Ich musste einen Schmerzensschrei unterdrücken … und starrte unmittelbar in das Gesicht eines Engels.
Ich übertreibe nicht. Seine Gesichtszüge waren die einer klassischen Schönheit – eine gerade Nase, ein ausgeprägtes Kinn, eine hohe Stirn und fein gemeißelte Wangenknochen. Die Augen waren groß und von reinstem Blau, und sein Haar sah aus wie eine Wolke aus goldenen Locken, die sich an den wohlgeformten Kopf schmiegte. Kurz gesagt, eine Verlockung für alle reinen Jungfrauen dieser Erde.
Zum Glück war ich weder rein noch Jungfrau. Was nicht heißen soll, dass ich nicht in Versuchung geriet.
Der goldene Engel sah sich nach allen Seiten um, bevor er sich verstohlen zu mir beugte.
»Signora Giordano?«
Ich nickte, weil ich meiner Stimme noch nicht ganz traute, und er lächelte. Die nächsten Worte entgingen mir. Kurz darauf hatte ich mich wieder gefangen und hörte noch: »… müssen reden, aber nicht hier. Hier ist es nicht sicher.«
»Wo dann, Vater …?« Habe ich vergessen zu sagen, dass er ein Priester war? In der schwarzen Soutane sahen nur wenige so männlich aus wie er. Und noch sehr viel weniger schienen sich an das Gelübde zu erinnern, das sie zusammen mit dem Gewand auf sich genommen haben.
»Morozzi, Bernardo Morozzi. Ich war ein Freund Eures Vaters. Sein Tod … was soll ich dazu sagen?« Seine Augen schimmerten feucht. »Ich bete täglich für ihn.«
Meine Kehle wurde eng. Die Sorge um das Seelenheil meines Vaters bewegte mich, und ich empfand tiefe Dankbarkeit.
»Ich danke Euch, Pater.«
Ich hätte noch länger dort stehen und mit ihm über meinen Vater sprechen können, doch er sah sich immer wieder um, bis auch mir die Situation zunehmend gefährlich erschien.
»Wir haben einen gemeinsamen Freund«, bemerkte Vater Morozzi. Erwartungsvoll sah er mich an. »Den Glasbläser. Kennt Ihr ihn?«
»Aber natürlich …« Mit einem Mal war ich sehr aufgeregt. Wenn dieser Priester Rocco Moroni als Freund betrachtete, so war
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