Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
folgte David und kroch neben mich in den engen Raum. Vittoro holte das Seil ein und ergriff die Lampe, die er mitgebracht hatte. Dann deutete er in die Dunkelheit hinter uns.
»Dieser Gang führt zur Außenmauer. Gleich habt Ihr es überstanden.«
Erschrocken hörte ich, wie unter uns das große Gitter in die Höhe geschoben wurde. Morozzi war mit den Wachsoldaten zurückgekommen.
»Bringt mehr Fackeln!«, brüllte der Priester, und dann: »Wo sind sie? Wo sind sie! «
Wir flüchteten so schnell, wie das unter diesen Umständen möglich war, und stolperten in tief gebückter Haltung hinter Vittoro her, der sich für sein Alter mit erstaunlicher Schnelligkeit bewegte. Meine Knie und Ellenbogen stießen laufend gegen die Wände und schmerzten bald. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie viel schwieriger es erst für David sein musste, der deutlich größer war als Vittoro und ich. Aber das regelmäßige Keuchen hinter mir bestätigte, dass er gut mit uns Schritt halten konnte. Gleichzeitig trieb es mich vorwärts. Der Gang führte aufwärts, was das Gehen erschwerte. Zusätzlich hinderte mich die Kutte bei jedem Schritt.
Als wir weit genug von unserem Gefängnis entfernt waren, um reden zu können, flüsterte ich keuchend:
»Wo sind wir?«
Vittoro antwortete über die Schulter hinweg:
»Wir befinden uns in einem der Luftschächte, die alle Mauern der Burg durchziehen. Die alten Römer, die dieses Gebäude errichtet haben, waren kluge Leute. Es war zwar ein Mausoleum, aber die Menschen, die den toten Kaiser ehren wollten, mussten atmen. Ohne Frischluft konnten auch keine Fackeln brennen. Die Schächte waren eine geniale Lösung.«
Ich erinnerte mich an die vielen fensterlosen Räume und nickte.
»Wie habt Ihr uns gefunden?«, fragte David von hinten.
Im flackernden Licht sah ich, dass Vittoro lächelte.
»Ich hatte eine vage Vorstellung von Eurem Plan und dachte, dass es nicht schaden könne, die Augen offen zu halten, falls Euer ›Freund‹ Schwierigkeiten macht.«
Zum Glück ist er so umsichtig, dachte ich, aber trotzdem wunderte ich mich.
»Eines verstehe ich nicht. Woher wusstet Ihr, wo genau Ihr suchen musstet?«
»Ich habe zehn Jahre hier in der Garnison gedient und mich oft gelangweilt. Um nicht verrückt zu werden, habe ich mir alle Winkel der Burg angesehen und viele Geheimnisse entdeckt. Es gab nur wenige Orte, wo Morozzi Euch eine Falle stellen konnte – falls er das überhaupt plante. Ich habe einfach überall gesucht, bis ich Euch gefunden habe.«
Es war für Vittoro gar nicht der Erwähnung wert, dass er uns das Leben gerettet hatte, und mehr noch. Ich wollte ihm
gerade danken, als wir plötzlich eine Öffnung in der Mauer erreichten und ich weit über die Stadt bis zum Petersdom blicken konnte. Ich konnte die bröckelnde Basilika deutlich erkennen. Zu meiner Linken wand sich der Fluss unterhalb der Burg in die Dunkelheit hinein.
»Wer sonst kennt die Burg noch so genau wie Ihr?«, fragte David. Ich begriff, worauf seine Frage abzielte. Morozzi hatte Alarm geschlagen. Falls die Wachen in diese Gänge eindrangen, liefen wir womöglich wieder in eine Falle.
»So gut wie keiner«, sagte Vittoro. »Die meisten Kameraden waren nicht so neugierig wie ich. Aber dem verrückten Priester würden sie sowieso nichts verraten, selbst wenn sie etwas wüssten.«
David schien nicht unbedingt überzeugt.
»Aber warum nicht?«
Der Hauptmann grinste.
»Weil die Männer sich Borgia als nächsten Papst wünschen, deshalb. Er hat mehr Verständnis für sie als jeder andere Kardinal.«
»Aber Borgia kann nicht Papst werden«, wandte ich ein, »jedenfalls jetzt nicht mehr. Morozzi wird Anklage erheben, dass er Innozenz töten lassen wollte. Ganz gleich, wie viel Geld er auch besitzt, es wird nicht reichen, die Leute werden das nicht vergessen.«
»Morozzi wird kein Wort sagen. Natürlich würde er es am liebsten tun, aber er weiß genau, dass er keinen Beweis hat, wenn Ihr ihm entwischt.«
Ich dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass die Möglichkeit durchaus bestand.
»Wenn Innozenz am Leben bleibt und das Edikt jederzeit
unterzeichnen kann, ist meinem Volk nicht geholfen«, bemerkte David, während er mich eindringlich ansah. Da ich inzwischen wusste, dass der Befehl zum Mord an meinem Vater von Morozzi gekommen war und nicht von Innozenz, waren seine Zweifel an meiner Entschlossenheit verständlich. Aber er irrte sich – und ich verzieh ihm. Seit meinem ersten Besuch im Ghetto und dem
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