Die Tochter des Goldsuchers
habe sie erst gestern gebacken.«
Während Alice nervös an ihrem Rock zupfte, nahm sie Platz. »Danke, Ma’am. Und machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde auch niemandem ein Sterbenswörtchen davon verraten, dass ich an Ihrem Tisch gesessen habe.«
Nun doch neugierig gemacht, forderte Sarah Alice auf: »Jetzt erzählen Sie doch mal, was Sie zu mir geführt hat.«
»Carlotta hat einige der Kleider gesehen, die Sie für Frauen in der Stadt angefertigt haben. Sie sind wirklich ausgesprochen hübsch, Miss Conway.«
»Danke sehr.« Sarah schenkte ihnen Tee ein.
»Erst neulich, nachdem Jake gegangen war …«
»Jake?«
»Ja, Ma’am.« Alice hoffte, dass sie die Tasse richtig hielt, als sie trank. »Er kommt ja ziemlich regelmäßig in den ›Silver Star‹. Carlotta mag ihn sehr. Sie arbeitet sonst nicht selber, wissen Sie, es sei denn, es handelt sich um jemand wie Jake.«
»Ja, ich verstehe.« Ihren Zorn mühsam unterdrückend, meinte Sarah: »Solche Männer wirken wohl auf sie?«
»Gewiss. Wir alle haben eine Schwäche für Jake.«
»Darauf will ich wetten«, sagte Sarah leise.
»Nun, einen Tag, nachdem Jake fort war, setzte Carlotta es sich in den Kopf, dass wir uns allesamt neu einkleiden sollten. Elegant wie richtige Ladys. Sie sagte, Jake hätte ihr erzählt, dass Sie uns Garderobe anfertigen könnten.«
»Das hat Jake gesagt?«
»Ja, Ma’am. Sie meinte, sie fände Jakes Idee sehr gut. Dann hat sie mich losgeschickt, damit ich mich darum kümmere. Ich habe alle Maße mitgebracht.«
»Tut mir leid, Miss Johnson, das geht wirklich nicht. Richten Sie aber Carlotta aus, dass ich ihr für das Angebot danke«, sagte Sarah entschlossen.
»Wir sind acht Mädchen, Miss, und ich soll Sie im Voraus bezahlen. Ich habe das Geld dabei.«
»Das ist sehr großzügig, aber ich kann es nicht annehmen. Möchten Sie noch Tee?«
»Ich weiß nicht. Ich …« Verwirrt blickte Alice auf ihre Tasse. Sie hatte noch nie gehört, dass jemand Carlotta etwas abschlug. »Ich will Ihnen keine Umstände machen.« Alice wusste, dass Carlotta sie für die Antwort, die sie ihr bringen musste, heftig schelten würde.
»Miss Johnson …«
»Sagen Sie doch Alice zu mir, Miss Conway. Das tut jeder.«
»Also, Alice. Willst du mir nicht mal erzählen, wie du ausgerechnet bei Carlotta gelandet bist? Du bist doch viel zu jung, um … so ganz auf dich alleingestellt zu sein.«
»Mein Daddy hat mich verkauft.«
»Verkauft?«
»Wir waren zehn Kinder, und das elfte war unterwegs. Jedes Mal, wenn er betrunken war, schlug er eins von uns mit der Peitsche oder machte noch eins. Und er war oft betrunken. Vor einigen Monaten kam ein Mann vorbei, und Daddy verkaufte mich für zwanzig Dollar. Bei der ersten Gelegenheit rannte ich weg. Als ich nach Lone Bluff kam, fing ich bei Carlotta an zu arbeiten. Ich weiß, dass das keine anständige Beschäftigung ist, aber es ist besser als das, was ich vorher hatte. Ich bekomme zu essen und habe mein eigenes Bett, wenn ich mit der Arbeit fertig bin.« Beklommen zuckte sie mit den Schultern. »Die meisten Freier sind in Ordnung.«
»Dein Vater hatte kein Recht, dich zu verkaufen, Alice.«
»Es geschehen viele Dinge, die nicht recht sind.«
»Sicherlich könnte ich eine anständige Arbeit in der Stadt für dich finden, wenn du Carlotta verlassen würdest.«
Mit großen Augen schaute Alice sie an. »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich wusste, dass Sie eine richtige Lady sind, Miss Conway, und ich bin Ihnen dankbar. Doch ich mache mich jetzt besser auf den Rückweg.«
»Wenn du wieder mal vorbeikommen willst, würde ich mich sehr freuen«, erklärte Sarah, während sie sie nach draußen begleitete.
»Nein, Ma’am, das wäre nicht richtig. Jedenfalls vielen Dank für den Tee.«
Über den Besuch von Alice dachte Sarah noch lange nach. Während sie am Abend im Tagebuch ihres Vaters las, versuchte sie, sich vorzustellen, wie es sein musste, von seinem eigenen Vater verkauft zu werden. Wie ein Pferd oder ein Bulle, dachte sie mit Schaudern. Auch sie selbst hatte Jahre ihres Lebens ohne eine richtige Familie verbracht, aber immer in dem Bewusstsein, dass ihr Vater sie liebte. Alles, was er getan hatte, war in ihrem Interesse geschehen.
Früher hätte sie Alice für ihre Wahl schlichtweg verurteilt. Aber jetzt glaubte sie zu verstehen. Das Mädchen kannte nichts anderes. Der Teufelskreis hatte mit der Herzlosigkeit ihres Vaters begonnen und wurde fortgeführt, indem sie sich immer wieder von Neuem
Weitere Kostenlose Bücher