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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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gemacht hatte, denn was ursprünglich eine Notfallmaßnahme gewesen war, erwies sich ganz schnell als Falle, als ein schweres Joch – und Teague hatte nicht zugelassen, dass sie es wieder abschüttelten.
    Henry hatte sich angehört, was der Verwalter über die Angelegenheit zu sagen hatte, und Lady Weston bestätigte Davies' Aussage. Daraufhin beschlossen Henry und sein Vater, Mr Davies nicht zu entlassen, und übertrugen ihm stattdessen die Aufgabe, denen, die durch ihn geschädigt worden waren, so viel wie möglich zurückzuzahlen.
    Sir Giles traf währenddessen Anordnungen für Julian, verbrachte sehr viel mehr Zeit als früher mit Rowan und schrieb an Phillip, um sicherzustellen, dass dieser das Semester erfolgreich abschloss, bevor er nach Hause zurückkehrte, wo er die Sommerferien verbringen sollte. Henry freute sich, dass sein Vater offenbar mit seinen Aufgaben gewachsen war und die Zügel wieder in die Hand nahm, denn dadurch hatte er Zeit, seinen Plan, einen Steinturm auf der Spitze der Landzunge errichten zu lassen, in Angriff zu nehmen.
    Als er jetzt die Bibliothek betrat, fragte er Sir Giles: »Hast du noch Mutters Brief? Den, aus dem das herausgerissen ist?«
    Sir Giles nahm den schmalen Papierstreifen, den Henry ihm entgegenstreckte, und blinzelte durch die Gläser seiner Lesebrille darauf herab. Dann seufzte er, schloss eine der Schubladen seines Schreibtischs auf und holte eine Schachtel heraus, nicht unähnlich Henrys Zigarrenschachtel. Er wühlte zwischen den Papieren, die sich darin befanden, bis er eins mit einer abgerissenen Ecke fand, las ein paar Zeilen, um sicherzugehen, dass es das Richtige war, und blickte dann zu Henry auf.
    »Ich hoffe, dass du nicht böse mit mir sein wirst. In dem Brief ist auch von Adam die Rede, und da deine Mutter und ich beschlossen hatten, nicht mehr von ihm zu sprechen und seinen Aufenthaltsort geheim zu halten, hielt ich es für besser, dir nicht den ganzen Brief zu geben. Bitte vergiss nicht, dass ich damals in Trauer war und vielleicht nicht immer klar denken konnte.«
    Den ganzen Brief?, wunderte sich Henry. Er fragte: »War der Rest denn nicht für dich bestimmt?«
    Sir Giles schüttelte den Kopf und reichte ihm den Brief.
    Henry sank in einen Sessel. Er bekam keine Luft mehr, als er den Gruß in der geliebten Handschrift sah.
    Mein lieber Henry,
    weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe? Wenn ich in dein kleines Gesicht schaue, so hübsch und klug, erdrückt die Liebe zu dir mir beinahe das Herz.
    Es macht mich traurig, mit anzusehen, wie deine Augen Tag für Tag ein Stück mehr von ihrer sorglosen Unschuld verlieren, und ich hoffe sehr, dass du nicht deine Kindheit verlierst, wenn du mich verlierst. Denn ich werde immer bei dir sein, nur einen Wimpernschlag der Erinnerung entfernt.
    Bitte pass auf deinen kleinen Bruder auf, auch wenn ihr beide einmal erwachsen seid. Es gibt niemanden, mit dem dich mehr verbindet. Phillip ist noch sehr klein und ich weiß, dass er sich nicht an mich erinnern wird. Selbstsüchtig, wie ich bin, treibt dieser Gedanke mir die Tränen in die Augen.
    Ich hoffe, dass du, der Ältere, dich an mich erinnerst, Henry. Aber du darfst keine Schuldgefühle haben, wenn die Erinnerung mit der Zeit schwächer wird. So ist das Leben nun einmal. Die Gegenwart verdrängt die Vergangenheit und meistens ist es auch richtig so. Ich möchte nicht, dass du in der Vergangenheit stecken bleibst und dein Kummer allzu groß wird (ein wenig Kummer wäre allerdings schön).
    Ich denke, dass dein Vater irgendwann wieder heiraten wird, wenn ich auch hoffe, dass es nicht so bald sein wird. Und wenn er heiratet, so lass dir sagen, dass es richtig ist, wenn du deine neue Mama liebst. Ich möchte, dass du sie liebst. Du darfst sie nicht aus Loyalität mir gegenüber ablehnen. Wir alle möchten lieben und geliebt werden. Wir alle möchten hin und wieder liebevolle Arme um uns spüren. Jedenfalls die meisten von uns.
    Ich weiß nicht, was ich dir über deinen Bruder Adam sagen soll. Er ist anders. Er mag Zuneigung nicht auf die Art, wie wir sie mögen. Aber ich liebe ihn trotzdem. Wie könnte ich ihn auch nicht lieben? Ich bete, dass die Entscheidung, die wir für ihn – und für dich und Phillip – getroffen haben, richtig war. Gott vergebe mir, wenn es nicht so war. Mr und Mrs Hobbes werden gut für ihn sorgen, das weiß ich.
    Ach, ich erhoffe mir so vieles für dich, mein Sohn. Es ist mir gleichgültig, ob du berühmt wirst, große Erfindungen

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