Die Tochter des Kardinals
auf. »Er wird sogar dein Todesurteil unterzeichnen.«
»Nie und nimmer!«, sagte Giulia.
Kopfschüttelnd trat Carafa näher an das Gitter. »Glaubst du, er sei dein Freund?«, fragte er. »Glaubst du wirklich, dein Leben hätte mehr Bedeutung für ihn als das Leben eines widerlichen Insekts? Die Päpste denken nicht in den Bahnen, in denen du oder das übrige Geschmeiß denkt. Ihr Geist, ihr Wirken ist von der irrigen Annahme gelenkt, der allmächtige Vater im Himmel hätte ihnen den Auftrag gegeben, Sein Werk auf Erden zu verrichten, in Seinem Namen zu handeln. Und da meinst du, einer dieser von Gott gesegneten Männer würde sich um dich scheren, wo der Herr ihnen doch die ganze Welt geschenkt hat?«
Giulia antwortete nicht. Sie dachte nach. Schließlich fragte sie: »Warum ich? Aus welchem Grund habt Ihr ausgerechnet mich nach Rom geholt? Nur, um mich schließlich zu richten? Das kann nicht der wahre Grund sein. Also sagt mir, welche Rolle ich in Eurem teuflischen Stück spiele.«
Carafa hüstelte. »Du hast mir keinerlei Befehle zu erteilen.«
Wütend sprang Giulia an das Gitter und rüttelte daran. »In Gottes Namen!«, schrie sie außer sich. »Ihr erwartet von mir, dass ich für Eure Machtgelüste sterbe. Dann verlange ich von Euch, dass Ihr mir den Grund hierfür nennt. Sprecht endlich!«
Carafa war zwei Schritte zurückgewichen. Überrascht gaffte er sie an. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, um ihn ein weiteres Mal zu öffnen. »Weil du den Tod verdient hast«, sagte er und wischte sich über die Stirn.
Giulia konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Was sagt Ihr da? Ich? Den Tod verdient? Habt Ihr den Verstand verloren? Bis vor einem Jahr kanntet Ihr nicht einmal meinen Namen.«
»Du hast den einzigen Menschen getötet, den ich je geliebt habe«, sagte Carafa. »Damit hast auch du den Tod verdient.«
Giulia glaubte, Carafa sei dem Irrsinn verfallen. Ein Wahnsinniger, der über ihr Leben entschied. »Bei Gott«, stöhnte sie. »Ich habe noch nie einen Menschen getötet.«
»Was hat Mutter Rufina dir über deine Mutter berichtet?«, fragte er.
»Meine Mutter?«, wiederholte Giulia. Sie schüttelte wild den Kopf, als hätte sie Wasser in den Ohren und sich aus diesem Grunde verhört. »Sie starb bei meiner Geburt. Aber warum in Gottes Namen fragt Ihr?«
»Ihr Name war Liana«, sagte Carafa. »Sie war mein Herz, mein Heiligtum. Dann gab sie ihr Leben, um dir das deine zu schenken.«
Giulia zog die Augenbrauen hoch. »Ihr kanntet meine Mutter?«
»Sie war meine Gefährtin über viele Jahre«, sagte Carafa in schwärmerischem Ton. Dann wurde er wieder ernst. »Aus unserer Liebe erwuchs eine Leibesfrucht unter ihrem Herzen. Du.«
Die Worte hallten in Giulias Geist wider, bis sie schließlich mit brachialer Gewalt auf sie niederfuhren. Sie taumelte zurück in die Dunkelheit ihres Verlieses. »Nein!«, hauchte sie. »Das ist unmöglich! Ihr seid nicht mein Vater. Niemals!« Die letzten Silben hatte sie herausgeschrien.
»Deine Mutter hat dich in der Kirche von Giulianova in einer regnerischen Nacht im Beisein eines Geistlichen und einer Nonne geboren«, fuhr Carafa fort. »Gleich nach deiner Geburt starb sie. Der Geistliche hat dich in der Obhut der Nonne belassen und ihr den Auftrag gegeben, dich Giulia zu nennen und zu erziehen. Dann verschwand er für immer. Der Geistliche war ich.«
Wimmernd wand Giulia sich hin und her. Es gab auf Erden nur zwei Menschen, die von den Geschehnissen ihrer Geburt unterrichtet waren. Im Alter von zwölf Jahren hatte Mutter Rufina ihr die Geschichte ihrer Geburt erzählt. Nur ihr allein. Und sie hatte Giulia verboten, jemals ein einziges Wort darüber zu sagen. Carafa konnte diese Einzelheiten nur wissen, wenn er selbst dabei gewesen war. Er war in der Tat ihr Vater. Aber das konnte nicht sein. Es durfte nicht sein! Sie schrie gequält auf.
Carafa beachtete ihr Leid nicht. »Als wir nach einem Spion suchten«, sagte er, »der jung und unbedarft genug war, um im inneren Kreis des Papstes nicht aufzufallen, kamst du mir in den Sinn. Wohl war ich mir bewusst, dass dein Leben auf dem Spiel stand, aber wie du nun weißt, bedeutet es mir nicht mehr als das Leben einer Fliege.«
Unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, kauerte Giulia im hintersten Winkel des Kerkers. »Warum seid Ihr so böse?«, wollte sie wissen. »Ihr, ein Mann der Kirche. Tragt das Wort Jesu in die Welt, ohne auch nur irgendetwas davon zu verstehen.«
Carafa schnaufte
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