Die Tochter des Kardinals
verächtlich. »Jesus Christus bedeutet mir noch viel weniger als das Leben einer Fliege.« Dann rief er: »Genug geschwatzt! Bist du willens, die Vorwürfe, die dir vor Gericht zur Last gelegt werden, einzuräumen?«
»Welche Wahl habe ich?«, fragte Giulia mit allem Sarkasmus, zu dem sie in diesem Augenblick fähig war.
»Gut«, sagte Carafa. »Somit bleibt dir das peinliche Verhör erspart. Der Prozess soll nicht lange dauern. Am Ende steht deine Verurteilung zum Tod auf dem Scheiterhaufen im Hof der Engelsburg. Ich wünsche eine gute Nacht.« Er wandte sich um und ging.
Giulia blieb allein zurück. Langsam, dann immer schneller hämmerten ihre Fäuste auf die dicken Steine unter ihren Füßen. Aus Trauer und Ohnmacht wurde irgendwann unbändiger Zorn und schließlich der überwältigende Wille, um nichts in der Welt aufzugeben.
27
Auf der Piazza della Rovere, unweit des Petersdoms am Ufer des Tiber gelegen, stand ein schlanker Mann mit grauem Bart, die Ellenbogen auf eine Mauer gestützt. Er trug unscheinbare bunte Kleider, bestehend aus einem roten Wams mit bauschigen gelben Ärmeln, einer grünen Strickhose, und auf dem Kopf eine rote Kappe. Die wenigen Menschen an diesem Abend, die über die Piazza schlenderten, beachteten die unauffällige Erscheinung kaum. Er selbst nahm ebenfalls keine Notiz von ihnen. Sein Blick war auf das andere Ufer des Tiber gerichtet, wo verliebte Paare im blassrosa Licht der untergehenden Sonne über grüne Wiesen flanierten. Ihr verhaltenes Kichern zog über den Fluss wie morgendliche Nebelschwaden. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung.
Plötzlich sagte eine Stimme in seinem Rücken: »Habt Dank, dass Ihr gekommen seid.«
Er wandte sich um. Vor ihm stand eine junge Nonne, die ihn lächelnd ansah. »Fulvia«, sagte er, »du weißt, dass ich solche Treffen nicht schätze.«
In Fulvias Gesicht zuckte es. »Ich weiß«, sagte sie. »Doch umso mehr schätze ich, dass Ihr erschienen seid.«
Er schnaufte. »Also, was willst du?«
»Schwester Giulia«, sagte Fulvia.
»Ich dachte es mir.«
Fulvia hob flehend die Hände. »Sie braucht Eure Hilfe«, sagte sie. »Nur Ihr allein könnt sie vor dem Scheiterhaufen bewahren.«
Er hob eine Augenbraue. »Was erwartest du von mir?«
»Sprecht mit Kardinal Carafa«, bat Fulvia. »Sagt ihm, er soll die Anklage gegen sie fallen lassen.«
Er räusperte sich vernehmlich. »Glaubst du, ein Mann, der seine eigene Tochter richten lässt, hört auf meine Worte?«
»Dann sprecht sie frei«, sagte Fulvia. »Ihr seid der Großinquisitor des Heiligen Offiziums und somit oberster Richter dieses Prozesses. Es obliegt Eurer Entscheidung, ob sie verurteilt wird oder nicht.«
»So einfach ist das nicht«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Wie ich hörte, will Carafa eindeutige Beweise vorbringen, dass die junge Giulia der Ketzerei schuldig ist. In diesem Fall habe ich keine andere Wahl, als sie dem Feuer zu überantworten. Carafa hat dies alles mit äußerster Sorgfalt geplant.«
Ein Ausdruck grenzenloser Verzweiflung trat in Fulvias Augen. »Ohne ihre Hilfe hättet Ihr Euch Pozzis nicht entledigen können«, erinnerte sie ihn. »Giulia hat den Tod nicht verdient!«
»Wer hat das schon?«, fragte er.
Fulvia ließ die Schultern hängen. »Ich bitte Euch«, flüsterte sie. »Es muss doch eine Möglichkeit geben, sie zu retten.«
»Hm«, machte er und sah an Fulvia vorbei einem Mann in dunkler Kleidung und mit einem altmodischen Hut entgegen, der sich ihnen näherte. »Vielleicht gibt es in der Tat eine Chance für das Leben deiner Freundin.«
Der Mann mit dem breitkrempigen schwarzen Hut trat näher. Er machte eine leichte Verbeugung.
»Carbone«, sagte Fulvias Gegenüber. »Da seid Ihr endlich. Was habt Ihr zu berichten?«
Carbone zögerte und blickte zu Fulvia.
»Sprecht frei heraus«, sagte der Alte.
»Es ist alles bereit«, sagte Carbone. »Morgen Abend soll es geschehen.«
»Morgen schon?«, fragte der Alte und rieb sich die Hände. »Ausgezeichnet.« Er wandte sich Fulvia zu. »Bete, dass unser Plan gelingt. Bete, dass Carafa den morgigen Tag nicht überlebt und durch seinen Tod das Leben seiner Tochter rettet.«
Fulvia faltete die Hände. »Das werde ich«, sagte sie. »Ich danke Euch, Vater.«
Er sah sie ernst an. »Du bist eine Castagna, vergiss das nie!«
Fulvia nickte stumm. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ mit schnellen Schritten die nun in vollkommene Dunkelheit gehüllte Piazza.
28
Am frühen Abend des
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