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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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tun.«
    »Was, ehrwürdige Mutter?«, fragten Rossana und Liliana wie aus einem Munde.
    Rufina hob das Kinn an. »Ich fahre nach Rom«, sagte sie. »Dort will ich mir selbst ein Bild von Schwester Giulias Befinden machen.«
    Fassungslos starrten die Schwestern Rufina an, als stünde die Heilige Mutter Gottes höchstselbst vor ihnen. Rossana war die Erste, die ihre Sprache wiederfand. »Nehmt uns mit«, bat sie.
    »Ja, ehrwürdige Mutter«, sagte Liliana. »Bitte, lasst uns mit Euch gehen.«
    Rufina schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Der Moloch hat bereits einen meiner Schützlinge verschlungen. Das genügt. Ich gehe allein.«
    »Aber die Reise ist weit, ehrwürdige Mutter«, wandte Rossana ein.
    »Ich nehme den Weg über die Berge«, sagte Rufina. »Die Pferde sind jung und stark. In wenigen Tagen kann ich in Rom sein, so Gott will.«
    »Ihr wollt unverzüglich aufbrechen?«, fragte Liliana.
    »Gewiss«, sagte Rufina bestimmt. »Schwester Rossana, spann sogleich die Pferde an. Schwester Liliana, besorg ausreichend Proviant und verstau ihn auf dem Wagen.«
    Die Schwestern eilten davon. Rufina ging in das Abthaus und klaubte ein paar Habseligkeiten zusammen, die sie in eine große braune Tasche packte. Obendrauf legte sie ihre Bibel und verschloss die Tasche. Vor dem großen Kreuz in ihrem Schlafgemach kniete sie nieder und betete leise. Dann bekreuzigte sie sich, stand auf und verließ ihre Heimstatt.
    Vor der äußeren Klostermauer stand der Wagen bereit. Zwei kräftige Schimmel waren davorgespannt und schnaubten. Als Mutter Rufina auf der Sitzbank Platz nahm, strömten plötzlich alle Nonnen des Konvents durch das Tor. Aus einigen Gesichtern sprach Sorge, aus anderen Bewunderung. Rufina lächelte ihnen aufmunternd zu. Dann ergriff sie die Zügel, schlug mit der Gerte auf die Flanken der Rösser, und schon stoben die Pferde davon. Rufina hob eine Hand und winkte den Nonnen in ihrem Rücken grüßend zu. Vor ihr lag Rom.

29
    Die Zeit ist ein seltsam Ding. Verbringt man einen Tag mit einem geliebten Menschen, lacht, tanzt und läuft mit ihm voller Freude barfuß durch weiches Gras und über bunte Wiesen im Sommerwind, erscheint der Tag wie ein Wimpernschlag. Doch schmachtet man einen Tag in einem kalten, feuchten Verlies in den Eingeweiden einer uralten Burg, fühlt es sich an wie eine Woche oder gar wie ein Monat.
    So erging es Giulia. Sie vermochte nicht zu sagen, wie lange sie schon hinter diesen Mauern eingesperrt war wie ein Tier. Zwei Wochen? Drei? Sie wusste nicht einmal, ob es gerade Tag war oder Nacht. Sie vertrieb sich die Zeit, indem sie die Strohhalme unter ihren Füßen zählte oder Bibelverse aufsagte. Sie schlief, und manchmal hockte sie in einer Ecke und weinte. Die Mahlzeiten waren karg, ständig verspürte sie bohrenden Hunger. Doch noch viel schlimmer war der Durst. Sie erhielt jeden Tag nur einen halben Krug Wasser, das stank wie Jauche. Wenn sie trank, hielt sie sich die Nase zu und stürzte es hinunter. Es kostete sie unglaubliche Willenskraft, es nicht wieder auszuspeien.
    Vor einiger Zeit, es mochte zwei oder drei Tage her sein, war Francesco Geller vor der Tür ihres dunklen Verlieses erschienen. Er berichtete nichts Gutes. Der Heilige Vater hatte den Inquisitionsprozess gegen Giulia als statthaft erklärt. Offenbar war es Carafa gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass Giulia schuldig war. Es konnte nun nicht mehr lange dauern, bis der Prozess begann. Damit starb Giulias letzte Hoffnung. Der Heilige Vater hatte ihr seinen Schutz versagt. Sein Glaube an Carafas Beweise war stärker gewesen als sein Vertrauen in Giulia. Diese abgrundtiefe Enttäuschung steckte in Giulias Herzen wie die Klinge eines Degens, und aus der Enttäuschung wurde Wut. Zwar wusste sie, dass dieses Gefühl gegen den Stellvertreter Christi auf Erden einer Nonne nicht geziemte, womöglich war es gar eine Sünde, doch die Erbitterung und der brennende Kummer erfüllten jede Faser ihres Seins. Sie wollte gegen das Unrecht aufbegehren, das insbesondere Seine Heiligkeit in ihren Augen mit seiner hartherzigen Tatenlosigkeit begangen hatte, doch sie konnte ihren Zorn allein mit ihren Fäusten in die steinerne Wand hämmern. Früher, als der Papst für sie nur die unscharfe Form einer mystischen Sagengestalt besessen hatte, da glaubte sie noch, das Licht und die Liebe der ganzen wunderbaren göttlichen Schöpfung hätten sich in diesem heiligen Manne vereint. Nun war sie in dem vergangenen Jahr diesem Mann so nah gewesen wie

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