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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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kleinen Tisch am Ende der Tischreihen und las Psalmen aus der Heiligen Schrift vor. Während des Mittagsmahls mussten die Nonnen schweigen. Allein mittels Zeichensprache war es ihnen gestattet, sich untereinander auszutauschen. Wollten sie Käse gereicht bekommen, pressten sie die Hände aufeinander, bei Fisch vollführten sie kleine Schwimmbewegungen. Auf Brot wiesen sie, indem sie mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis formten, nach Essig verlangten sie, indem sie mit einem Finger auf ihre Kehle zeigten.
    Nach dem Mahl verstummte Schwester Orchidea. Mutter Rufina gab ein Zeichen, und die Nonnen erhoben sich, um ihre Beschäftigungen wieder aufzunehmen. Sie gingen in die Kräuter- und Gemüsegärten, ins Scriptorium, putzten die Latrinen oder unterrichteten in der Novizenschule. Drei Nonnen räumten die Tische ab und schafften das Geschirr in die angrenzende Küche. Kurz darauf ertönte von dort das Geklapper der Teller, Töpfe und Becher.
    Mutter Rufina erhob sich von ihrem Platz. Sie sah aus dem Fenster auf die alte Klosterkirche, deren Spitze alle anderen Gebäude des Klosters überragte, und seufzte leise. Sie wandte sich um und verließ das Refektorium. Vor ihr lag der Kreuzgang. Sie hielt sich links, bis sie über eine Treppe in den Klosterhof gelangte. Durch ein Tor in der inneren Klostermauer gelangte sie in den Bereich des Klosters, den auch Menschen besuchen durften, die nicht zum Orden gehörten. Meist Pilger, die in der Pilgerherberge übernachteten, oder die jungen Töchter reicher Adliger und Patrizier, die die äußere Schule besuchten. Die Nonnen unterwiesen sie im Lesen, Schreiben, Rechnen, in Latein und lateinischer Dichtung. Da viele Adelige diese Disziplinen für ihre Töchter als unnötig erachteten, hatten die Nonnen selten mehr als drei oder vier Schülerinnen. Gegenüber von Pilgerherberge und äußerer Schule befand sich das Armenhaus. Hier fand jeden Tag nach dem Mittagsmahl der Nonnen eine Armenspeisung statt, zu der jeder Bedürftige kommen konnte. Quälte irgendwen ein körperliches Leiden, nahmen sich die Nonnen fürsorglich seiner an.
    Mutter Rufina betrat das Armenhaus und sah sich um. Die Zeiten waren schlecht, viele Menschen hatten auch heute den Weg hierher gefunden, um sich an den Speisen des Klosters zu laben. Sie ging an den Tischen und Bänken vorbei. Die Gäste, wie sie die Armen nannte, hoben den Kopf und lächelten sie dankbar an. Rufina erwiderte das Lächeln, während ihr Weg sie in den hinteren Teil des Hauses führte, wo die Speisen ausgegeben wurden. Sie beugte sich über die fast leeren Töpfe. »Reicht es?«, fragte sie die junge Schwester Rossana.
    Rossana nickte. »Wenn niemand mehr kommt, haben wir alle satt bekommen, ehrwürdige Mutter.«
    »Sollten noch mehr Seelen hier erscheinen, holt Nachschub aus der Küche«, sagte Rufina. »Niemand soll in diesem Kloster abgewiesen werden.«
    »Ehrwürdige Mutter«, sprach eine andere junge Nonne Rufina an. Es war Schwester Liliana. Ihr hübsches kleines Gesicht drückte Kummer aus.
    »Ja, mein Kind«, sagte Rufina.
    »Habt Ihr schon Nachricht von Schwester Giulia?«, fragte Liliana.
    Bedrückt schüttelte Rufina den Kopf. »Seit Wochen gelangt keine einzige Zeile von ihr zu uns«, sagte sie. »Auf meine Briefe erhalte ich keine Antwort. Ich mache mir große Sorgen.«
    »Glaubt Ihr, der Schwester ist etwas zugestoßen?«, fragte Liliana weiter.
    »Ich weiß es nicht«, seufzte Rufina. Sie dachte an die vielen Briefe von Giulia, in denen sie über all die Schwierigkeiten und Gefahren im Vatikan berichtet hatte.
    Rossana legte die Schöpfkelle in einen der Töpfe und trat zu ihnen. »Giulia hat versprochen, regelmäßig zu schreiben, ehrwürdige Mutter«, erinnerte sie. »Bis vor wenigen Monaten hat sie ihr Versprechen auf das Genaueste eingehalten. Dann kommt plötzlich kein Wort von ihr mehr hierher. Etwas muss geschehen sein. Etwas Furchtbares.«
    »Schwester Rossana hat recht«, stimmte Liliana zu. »Schwester Giulia würde nie und nimmer ohne besonderen Grund aufhören, uns von ihrem Leben in Rom zu berichten, ehrwürdige Mutter.«
    Rufina gestand sich ein, dass sie den jungen Nonnen beipflichten musste. Und in ihr kam ein Gedanke hoch, der schon seit Wochen in ihrem Herzen auf den richtigen Augenblick gewartet hatte. Dieser Augenblick schien nun gekommen.
    »Wir müssen etwas tun, ehrwürdige Mutter«, sagte Rossana. »Irgendetwas.«
    »Und wir werden etwas tun«, sagte Rufina heiser. »Das heißt: Ich werde etwas

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