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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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kaum ein anderer Mensch auf Erden. Und mit der Bitternis einer Todgeweihten musste sie erkennen, dass auch die Päpste nur Menschen waren. Noch dazu Menschen, die eine Moral und eine Tugend pflegten, die weniger christlich nicht hätte sein können. Der fröhliche Hund des Bäckermeisters Barsini, mit dem sie oft durch die Wälder um Santa Annunziata gestreift war, trug mehr christliche Liebe in sich als all die Männer, die auf dem Heiligen Stuhl gesessen hatten, denn in seinem Herzen war kein Falsch.
    Ihren trübsten Gedanken nachhängend, saß Giulia mit dem Rücken an der Mauer, während die Kälte in ihren Körper kroch. Doch sie spürte es kaum. Stiefel, die im Gleichschritt gingen, erklangen, und das hohle Klappern eherner Harnische. Rasch zog sie ihren völlig verdreckten und klammen Schleier auf und schob die Haarsträhnen über der Stirn und hinter den Ohren darunter. Dann sprang sie auf und lief zur Kerkertür. Der winzige Ausschnitt, den das Gitter erlaubte, zeigte ihr nur die Fackel an der gegenüberliegenden Mauer. Sie presste ihren Kopf ganz dicht an die Gitterstäbe und spähte in die Richtung, aus der die Schritte kamen. Dann rückte das Gesicht Gellers in ihren Blick. »Francesco!«, stieß sie hervor.
    Geller sah sie bedrückt an. »Es ist so weit, Schwester«, sagte er mit belegter Stimme. Er winkte den Kerkermeister herbei, der mit klirrenden Schlüsseln die Tür aufschloss.
    Giulia stand reglos vor der Schwelle. »Wo bringt Ihr mich hin, Francesco?«
    »In den Gerichtssaal«, antwortete Geller mit brüchiger Stimme. Er räusperte sich. »Die Rota ist zusammengetreten und erwartet Euch.«
    Giulia atmete tief ein und trat aus dem Verlies auf den Gang hinaus. Vier Gardisten nahmen sie in die Mitte. Geller versuchte, zuversichtlich zu lächeln, doch es gelang ihm nicht.
    Angeführt von Geller, eskortiert von den Gardisten, durchquerte Giulia die düsteren, verschlungenen Gänge der Kerkeranlage. Schließlich führte eine Treppe hinauf zu einer Tür. Als Giulia zum ersten Mal seit zahllosen Tagen im gleißenden Licht der Sonne stand, schloss sie geblendet die Augen. Sie presste ihre Lider so fest zusammen, dass Tränen hervortraten. Sie vermochte die Umgebung kaum wahrzunehmen, doch die Wärme tat ihrem Körper und ihrer Seele gut.
    Die Männer führten sie aus der Engelsburg hinaus in den nah gelegenen Petersdom. Erst hier gewöhnten sich Giulias Augen an das ungewohnte Licht. Noch etwas verschwommen sah sie Nonnen und Geistliche, die bei ihrem Anblick innehielten und sie anstarrten. Einige unter ihnen bekreuzigten sich.
    Der Gerichtssaal der Römischen Rota befand sich im hinteren Teil des Petersdoms. Der Weg dorthin führte durch altbekannte Gänge und Hallen. Giulia hatte die meisten der Marmorplatten, die ihre Füße berührten, mit eigener Hand blank geputzt. Vor einem gewaltigen ovalen Portal aus massiven dunklen Holzbohlen, das bis unter die hohe Decke reichte, hielt die Gruppe an. Ein riesiges Kreuz ragte an dem Portal empor. Davor standen zwei Gardisten. Jeder von ihnen öffnete einen Flügel des Portals. In der Mitte des Kreuzes entstand ein Spalt, der sich stetig weitete und den Blick in das Innere des Gerichtssaals freigab. Geller schritt hindurch, seine Männer und Giulia folgten dicht dahinter.
    Der Saal war kreisrund. In der Mitte befand sich eine ebenfalls runde Tischanordnung, die einen Durchmesser von etwa fünfzehn Schritten hatte. An dem Tisch saßen mehr als ein Dutzend Auditoren, die Richter im Range eines Prälaten, in schwarzen Gewändern. Neben ihnen befanden sich auf Rädern laufende Gestelle, auf denen dicke Gesetzesbücher ruhten. In der Mitte der Runde stand ein einsamer Stuhl. Am Tisch gegenüber erkannte Giulia Kardinal Castagna. Der Stuhl neben ihm, etwas größer und prächtiger als die anderen, blieb frei. Giulia ahnte, dass dies der Platz des Heiligen Vaters sein musste. So hatte Seine Heiligkeit nicht einmal genug Mut aufgebracht, ihrem Todesurteil beizuwohnen. Auf der anderen Seite Castagnas saß der Aktuar. Hinter den Auditoren hatte sich das Publikum versammelt. Kardinäle, Bischöfe, Monsignori und einige Nonnen, darunter die verhärmte Gestalt Mutter Prudenzias und das liebreizende Gesicht Fulvias. Die junge Nonne hob ermutigend die Hand, als Giulia eintrat.
    Zwischen Publikum und Richtertisch war eine schmale Gasse belassen worden, durch die Geller Giulia auf den Stuhl der Angeklagten führte. Bedächtig nahm sie auf dem einfachen Stuhl Platz. Geller

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