Die Tochter des Kardinals
entschwand ihrem Blick.
Da öffnete sich in der Rückseite des Saales eine schmale Tür. Mit großen Schritten kam Carafa hereinstolziert. Er ging im Rücken der Auditoren um den runden Tisch herum in die kleine Gasse hinein und baute sich vor Giulia auf, ohne sie auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Er breitete die Arme aus und sagte: »Ehrwürdige Auditoren der Römischen Rota, wir haben uns heute an diesem Ort versammelt, um heiliges Recht über die schändlichen Vergehen eines Weibes zu sprechen, dass dereinst unserem Herrn Jesus Christus ewige Treue und Liebe versprochen hat.« Gleichzeitig deutete er mit dem Finger hinter sich auf Giulia. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand wies er an die Decke, als wolle er andeuten, dass selbst der himmlische Vater seine Aufmerksamkeit auf dieses Verfahren richtete. »Am Ende dieses Inquisitionsprozesses wird das Tribunal zu der Gewissheit gelangen, dass dieses Weib eine Ketzerin ist, die dem teuflischen Gedankengut der Reformation anhängt, und darüber hinaus eine Spionin, mit dem Auftrag, den Vatikan, gar den Heiligen Vater höchstselbst zu bespitzeln, auf dass es zum Schaden der gesamten Christenheit sei.«
Ein Raunen ging durch den Saal. Auf einigen Gesichtern zeigte sich ungläubiges Staunen, auf anderen Mienen spiegelte sich Empörung über die Schändlichkeit der angeklagten Nonne.
»Steht der Angeklagten kein Advokat zur Seite?«, fragte einer der Auditoren.
»Im vollen Bewusstsein ihrer Vergehen hat die Angeklagte aus freien Stücken auf einen Advokaten verzichtet«, erklärte Carafa.
Aus freien Stücken, dachte Giulia. Was für ein Hohn! Carafa hatte sie nicht einmal über die Durchführung der Verhandlung unterrichtet, geschweige denn, sie über ihre Rechte aufgeklärt.
»Nennt der Rota Euren Namen«, forderte Castagna Giulia auf.
»Schwester Giulia aus dem Kloster der Benediktinerinnen Santa Annunziata«, sagte Giulia. Der Aktuar schrieb jedes Wort mit Gänsekiel und Tinte auf.
»Fahrt fort, Kardinal Carafa«, sagte Castagna und lehnte sich zurück.
Schwungvoll wandte Carafa sich zu Giulia um. »Angeklagte«, sagte er, »ist es wahr, dass Ihr der Ketzerei schuldig seid, indem Ihr dem satanischen Glauben Luthers huldigt?«
Giulia sah dem Mann, der ihr eigener Vater war, entschlossen in die Augen – und schwieg. Zwar durfte sie, um das Leben ihrer Lieben zu schützen, seinen Anschuldigungen nicht widersprechen, doch wollte sie es ihm so schwer wie möglich machen. Und aus irgendeinem ihr unbekannten Grunde spürte sie noch immer Hoffnung. Die Hoffnung, dass der Heilige Vater oder irgendwer auf Erden diesem Treiben, dieser unfassbaren Ungerechtigkeit im Angesicht Gottes, ein Ende setzte. Daher wollte sie so viel Zeit wie möglich gewinnen.
Carafa grinste. »Euer Schweigen ist das Eingeständnis Eurer Schuld«, zischte er.
»Die Rota erkennt das Schweigen der Angeklagten nicht als Beweis ihrer Schuld an«, sagte einer der Auditoren, ein alter Mann mit spitzbübischem Gesichtsausdruck und haarlosem Schädel. »Gewiss habt Ihr Beweise für Eure Anschuldigung, Eminenz.«
»In der Tat«, sagte Carafa. Er gab den Gardisten, die vor dem Portal Wache standen, ein Zeichen, woraufhin diese die Türflügel öffneten und jemandem dahinter etwas zuriefen.
Giulia hörte in ihrem Rücken Schritte, die sich ihr mit festem Tritt näherten. Sie wandte den Kopf zur Seite. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie erkannte den Mann auf der Stelle, der da in den Kreis trat und sich neben sie stellte. Es war Pater Piola. Der Mann, den sie auf ihrer Reise nach Rom vor einem Jahr wegen der Verbrennung von Lutheranern zur Rede gestellt hatte. Sein voller schwarzer Bart war noch immer so ungepflegt und schmutzig wie seine Soutane. Die Schadenfreude über das unverhoffte Wiedersehen schien aus allen Poren seines dreckigen Leibes und seiner schmutzigen Seele zu dringen.
»Nennt Euren Namen«, forderte Castagna den Pater auf.
»Mein Name lautet Pater Angelo Piola, Euer Eminenz«, sagte Piola.
Der Gänsekiel des Aktuars kratzte über das Papier.
»Berichtet, was sich mit der Angeklagten zugetragen hat«, verlangte Castagna.
»Gern, Euer Eminenz«, lächelte Piola. »Vor etwa einem Jahr kamen Reisende durch unser Dorf, für dessen seelisches und geistiges Wohlergehen zu sorgen ich die Ehre habe. Es war ein ungewöhnlich heißer Tag, und gerade, als ich dem Müller Santo die heilige Segnung der Eucharistie brachte, kam der kleine Sergio herbeigelaufen. Euer
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