Die Tochter des Kardinals
Hände auf den First und zog sich ächzend auf das Dach. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zog er seine Pistole und richtete den Lauf auf Carafa.
Der Kardinal zögerte nicht mehr. Er beugte den Oberkörper vor und rannte auf das Ende des Daches zu. Mattei schoss, die Kugel sauste an Carafas Kopf vorbei. Carafa stieß sich ab und landete gleich darauf auf dem Dach der Schlachterei. Vier Männer tauchten neben dem Conte am Rand des Daches der Taverne auf und legten ihre Musketen an. Die Kugeln schlugen links und rechts zu Carafas Füßen ein, verfehlten ihn jedoch. Er lief weiter. Direkt an die Schlachterei war ein weiteres Haus gebaut, und Carafa kletterte hinauf. Hinter ihm hatten die Männer ihre Waffen nachgeladen. Sie feuerten ihm noch eine Salve hinterher. Dann sprangen auch sie auf das Dach der Schlachterei.
Während Carafa auf das nächste Dach zurannte, fielen von der Straße her Schüsse. Sofort warf er sich auf den Bauch und spähte vorsichtig über den First. Da standen über ein Dutzend Schwerbewaffnete und zielten auf ihn. Er hob den Kopf etwas und ließ ihn sogleich wieder sinken. Die Männer feuerten, trafen ihn jedoch nicht. Die Zeit, die sie für das Nachladen benötigten, nutzte er. Den Conte und seine vier Gefolgsleute im Blick, kroch er über das Dach auf die Rückseite des Hauses. Er schaute kurz hinunter – und sprang. Er landete in einem Busch, rollte sich darunter hervor und blickte nach oben.
»Er ist hinuntergesprungen!«, rief einer der Männer des Conte.
»Worauf wartet ihr noch?«, brüllte Mattei. »Folgt ihm!«
Carafa lief weiter. Er durchquerte den Garten, hangelte sich über eine Mauer und duckte sich atemlos dahinter nieder. Seine Verfolger hatten seine Fährte nicht verloren. Ihre Stimmen kamen näher. Hechelnd richtete er sich auf. Vor ihm führte links und rechts eine Gasse entlang. Er entschied sich, nach links zu laufen.
Carafa hatte kaum zwanzig Schritte zurückgelegt, da hörte er hinter sich vier Musketenschüsse und warf sich zu Boden. Gehetzt starrte er nach allen Seiten, aber in dieser Gasse fügte sich Hauswand an Hauswand. Es gab keine Möglichkeit, zu fliehen, es gab nur die Flucht nach vorn. Er sprang auf und wollte weiterlaufen, doch Matteis Stimme hielt ihn zurück.
»Gebt endlich auf!« Die Pistole in Matteis Hand war auf Carafa gerichtet. Die vier Männer neben ihm luden ihre Musketen nach.
Carafa wandte sich um und blieb ruhig stehen.
»So ist es gut«, rief Mattei. Langsam ging er auf Carafa zu, während dieser zurückwich. »Bleibt stehen oder ich erschieße Euch!«
Carafa lächelte kühl, doch er hielt keineswegs inne. Dann schoss Mattei. Die Kugel pfiff durch die Luft, streifte Carafas Wange und flog weiter. Blut lief ihm über das Gesicht. Doch der Schmerz schien ihn kaum zu beeindrucken. Er lachte auf, machte auf der Stelle kehrt und rannte weiter.
Gerade als die vier Soldaten ihre Musketen geladen hatten, erreichte Carafa eine Querstraße. Er bog um die Ecke, gleich darauf schlugen die Kugeln in das Gemäuer neben ihm ein. Etwa dreißig Schritte entfernt entdeckte er einen Pferdestall. Er beschleunigte seinen Schritt und rannte darauf zu. In dem Moment, als Mattei und seine Leute die Querstraße erreichten, schlüpfte er durch die Tür in den Stall. Vor ihm standen vier Pferde, und an der Rückwand des Stalls lag eine große Fuhre Heu. Er nahm Anlauf und sprang mit einem Satz in das Heu. Dann wartete er atemlos keuchend.
»Wo ist der Lump?«, hörte Carafa Matteis Stimme dumpf durch das Heu.
»Er muss hier irgendwo sein«, sagte einer der Soldaten. »Von hier aus kann er nicht entkommen.«
Hufgetrappel und die Rufe vieler Männer drangen an Carafas Ohr.
»Durchsucht die ganze Umgebung!«, befahl Mattei seinen Männern.
Die Tür zum Stall wurde aufgestoßen, und Schritte kamen näher. »Hier ist niemand!«, rief ein Soldat und ging wieder.
Allmählich erstarben die Laute der Verfolger, sie zogen weiter, die nächsten Häuser zu durchsuchen.
Wie eine Ratte in ihrem gut versteckten Nest wartete Carafa noch eine Weile. Schließlich befreite er sich aus dem Stroh. Auf leisen Sohlen ging er zur Tür, öffnete sie und spähte hinaus. Vorsichtig schob er sich durch den Spalt, horchte in den Abend hinein und machte sich auf den weiten Weg zu seinem Palazzo.
Im Kloster Santa Annunziata speisten die Nonnen gerade zu Mittag. Es herrschte Stille, nur die monotone Stimme von Schwester Orchidea erfüllte das Refektorium. Sie saß an einem eigenen
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