Die Tochter des Kardinals
Eminenz müssen wissen, dass der gute Knabe einen Unfall hatte, bei dem …«
Castagna hieb mit dem Gerichtshammer auf den Tisch. »Schwatzt nicht!«, rief er aus. »Kommt auf das Wesentliche zu sprechen!«
Piola war zusammengezuckt. »Wie Ihr wünscht, Euer Eminenz«, sagte er, den Kopf zwischen die Schultern gezogen. »Nun, die Reisenden suchten Obdach in einem Gasthaus. Schnell fanden wir heraus, dass es allesamt verfluchte Lutherböcke waren. So taten wir, was eines jeden wahren Christen Pflicht ist. Wir errichteten Scheiterhaufen und übergaben sie den reinigenden Flammen, auf dass ihre Seelen zum wahren Glauben zurückzufinden vermochten.«
Castagna schürzte die Lippen. »Was hat die Angeklagte mit Eurer Geschichte zu tun?«
»Sie stellte uns zur Rede, Euer Eminenz«, sagte Piola. »Glücklicherweise befanden sich die Lutheraner längst in der Obhut Gottes – oder des Teufels.«
»Sagt der Rota, wie die Angeklagte dem Tod der Ketzer begegnet ist«, forderte Carafa den Pater auf.
»Sie zeigte sich äußerst entrüstet«, erklärte Piola. »Sie behauptete, die Ketzer würden an denselben Gott glauben wie Ihr oder ich. Aus ihren Worten sprach eindeutig tiefes Mitgefühl mit den Lutheranern. Mir und den guten Christen meiner Gemeinde kam sogleich der Verdacht, sie selbst hänge dem teuflischen Glauben an. Wir wollten ihr die gleiche Strafe auferlegen wie ihren Glaubensbrüdern, doch leider hielt man uns mit Waffengewalt zurück.« Auf Piolas Gesicht trat ein Ausdruck von Trauer. Er faltete die Hände und senkte demütig den Kopf.
Castagna räusperte sich. »Ihr sagt also, dass die Angeklagte in Euren Augen in der Tiefe ihres Herzens und ihrer Seele eine Lutheranerin sei?«, wollte er von Piola wissen.
Piola nickte heftig. »Daran besteht nicht der Hauch eines Zweifels«, sagte er. »Gott soll mich auf der Stelle bestrafen, wenn ich vor Euch die Unwahrheit spreche.« Er hob beschwörend die Hände und richtete den Blick nach oben.
Erneutes Raunen ging durch die Menge der Zuschauer. Sie sahen einander kopfschüttelnd an.
»Es ist gut«, sagte Castagna. »Ihr könnt gehen.«
Piola verneigte sich tief. »Ich danke Euch und der gesamten Römischen Rota, dass Ihr mich angehört habt, auf dass dem Treiben der Ketzerin Einhalt geboten werde, Euer Eminenz.« Geleitet von einem Gardisten verließ er den Gerichtssaal.
»Habt Ihr diesen Anschuldigungen etwas entgegenzusetzen?«, fragte der kahlköpfige Auditor Giulia.
»Nein, Monsignore«, antwortete Giulia. Was hätte sie auch erwidern sollen?
»Habt Ihr weitere Beweise, die die Schuld der Angeklagten untermauern?«, fragte Castagna.
»Die habe ich«, sagte Carafa und stellte sich dicht vor den Tisch der Auditoren. Er deutete auf einen Kardinal, der hinter ihnen in den Reihen der Zuschauer saß. »Kardinal Foni«, sprach Carafa ihn an, »Ihr habt an der Reise des Heiligen Vaters in seine Heimat teilgenommen?«
Foni, ein alter, gebeugter Mann mit wackelndem Kopf und zittrigen Händen, erhob sich, gestützt von seinen Nachbarn. »Das ist richtig, Kardinal Carafa«, sagte er mit brüchiger Stimme.
»Könnt Ihr bezeugen«, sagte Carafa, »dass die Angeklagte auf dieser Reise einmal mehr versucht hat, die Hinrichtung lutherischer Ketzer zu verhindern?«
»Das kann ich«, sagte Foni heiser. »Doch lasst mich hinzufügen, dass ihr Handeln den Anschein reiner Menschenliebe erweckt hat, nicht zur Vereitelung der …«
»Danke, das genügt«, sagte Carafa und wandte sich von Foni ab, um wieder in die Mitte zurückzukehren. »Halten wir fest, dass es nunmehr zwei erwiesene Versuche der Angeklagten gab, die Durchsetzung heiligen Rechts zu verhindern. Ich sage Euch, ihr Herz schlägt im Takt der ketzerischen Reformation, ihr ganzes Sein ist beseelt vom diabolischen Geiste Luthers.«
»Ihr hüllt Euch noch immer in Schweigen?«, wollte Castagna von Giulia wissen.
Übelkeit kroch in Giulia hoch. Die Hoffnung, aus der sie ein letztes Fünklein Kraft geschöpft hatte, zerbrach wie ein Glas auf einem Steinboden. Niemand konnte sie mehr retten. Man würde sie schuldig sprechen und sie schließlich bei lebendigem Leibe verbrennen. Sie begann am ganzen Körper zu zittern. Ihr Blick zog sich zusammen, als starre sie in einen unendlich langen schwarzen Tunnel, an dessen Ende ein winziges Licht glomm. Ihr Atem ging schwer, dann wurde er schneller und immer schneller. Sie wollte etwas sagen, doch ihre Kehle war ausgedörrt. Die Welt um sie herum drehte sich in rasendem Kreis.
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