Die Tochter des Kardinals
ist und dessen Pläne, Gewohnheiten und Vorlieben kennt. Jemanden, der viel näher an Sixtus ist als selbst wir Kardinäle. Jemanden, der Tag und Nacht an seiner Seite weilt und uns mit Informationen versorgt. Informationen, die einen erneuten Anschlag auf Sixtus’ Leben ermöglichen und zum Erfolg führen.«
»Und wer soll dieser Jemand Eurer Meinung nach sein?«, wollte Castagna wissen. »Anatol ist aufgrund genannter Bedenken nicht für unsere Zwecke einsetzbar, und ich kenne keinen Mann, dem ich genug Vertrauen schenke, diese Aufgabe zu übernehmen.«
Carafa saß regungslos da. Sein Blick schien in weite Ferne gerichtet. Gedankenversunken spielten die Finger seiner rechten Hand mit seinen Lippen.
»Was sagt Ihr dazu, Callisto?«, fragte Castagna.
Erst in diesem Augenblick schien der Geist Carafas wieder an den Ort ihrer Zusammenkunft zurückzukehren. »Vielleicht kein Mann«, flüsterte er. »Doch womöglich eine Frau …«
5
D IE W ÄLDER BEI G IULIANOVA
Der Gesang unzähliger Vögel erfüllte den Wald. Gemeinsam mit dem Rauschen der Blätter im Wind bildeten sie einen sanften Canto. Füchse streiften durch das Unterholz. Bienen und Hummeln surrten um die Blüten der Blumen. Auf den Lichtungen standen Hirsche und Rehe. In den Tümpeln quakten Frösche.
Die junge Frau, die auf dem schmalen Waldweg nach Pilzen Ausschau hielt, ergötzte sich an der Schönheit der Natur. Immer wieder hielt sie inne, streckte ihre Nase weit vor, um die vielen Gerüche der Blumen und Bäume in sich aufzusaugen. Begegnete ihr ein Reh, so blieb sie stehen und rührte sich nicht. Ging sie querfeldein, hob sie den schwarzen Habit etwas an. Gelegentlich lüftete sie den Schleier, der alles verbarg bis auf ihr hübsches Gesicht, ein wenig, um mehr von den wunderbaren Geräuschen des Waldes an ihre Ohren dringen zu lassen.
Unweit des Pfades erblickten ihre wachen Augen unter einer Eiche einen Galletto. Als sie den umgebenden Farn beiseite schob, starrte ihr eine ganze Familie dieser delikaten Pfifferlinge entgegen. Sie zog ein Messer aus dem schmalen Gürtel, schnitt die Pilze vorsichtig knapp über dem Waldboden ab und legte sie in ihren Korb. Der war nun fast bis zum Rande gefüllt. Schwester Agostina würde sich freuen. Sie könnte davon eine köstliche Mahlzeit zubereiten und den Rest der Pilze in Öl einlegen.
Gerade wollte sie bei den umstehenden Bäumen suchen, als ein ganz und gar unpassendes Geräusch den Wald durchstieß: ein angsterfüllter Schrei. Er war aus der Kehle einer Frau gedrungen, die Todesängste ausstehen musste.
Ohne auch nur einen einzigen Gedanken an eine drohende Gefahr zu verschwenden, stellte die junge Nonne ihren Korb beiseite. Ein zweiter Schrei erscholl. Er zeigte ihr Weg und ungefähre Entfernung an. Sie hob den Saum ihres Habits und lief über Wurzeln, Steine und Blattwerk.
Hinter einer Dornenhecke lag eine kleine Lichtung. Dort stand eine alte Frau umringt von einem Trupp Soldaten. Vor ihren Füßen lag offensichtlich der Mann des alten Mütterchens. Er lag flach auf dem Bauch, während einer der Soldaten den alten Mann mit einem Fuß niederdrückte. Ein zweiter erhob soeben sein Schwert, um es dem Bauern in den Rücken zu rammen. Ein weiterer Soldat hielt seine Armbrust auf die Frau gerichtet. Diese weinte und flehte um das Leben ihres Mannes.
In diesem Moment stürmte die Nonne auf die Lichtung. »Haltet ein!«, rief sie. »In Gottes Namen!«
Unverzüglich richteten sich zwei Armbrüste auf sie. Der Soldat senkte sein Schwert und starrte sie an wie eine geisterhafte Erscheinung.
»Warum schindet ihr diese armen Leute?«, wollte die Nonne wissen. Sie half dem Bauern auf die Beine und untersuchte ihn, ob er Verletzungen davongetragen hatte.
Der Soldat hob sein Schwert erneut und richtete es auf die Nonne. »Wer bist du, dass du es wagst, die Soldaten des Conte di Castiglione zu stören?«
»Mein Name ist Schwester Giulia aus dem Kloster Santa Annunziata«, sagte sie. »Da dies nun geklärt wäre …« Sie trat so weit vor, dass sie eine halbe Armlänge vor dem Frechling stand, und blickte ihm unverwandt in die Augen. »Wer bist du, in diesem Ton zu einer Braut Christi zu sprechen? Erklär dich auf der Stelle!« Giulia beobachtete seine Reaktion und stellte zufrieden fest, dass ihre Worte Wirkung zeigten. Der Mund des Soldaten zuckte nervös und er verlor sein selbstherrliches Grinsen.
»Ich … ich«, stammelte er und ließ das Schwert sinken.
Giulia zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die
Weitere Kostenlose Bücher