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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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erlegt die Tiere auf dem Gebiet des Klosters. Man wird euch nicht strafen.«
    Der Bauer sah sie erstaunt an. »Aber …«
    »Die Richtung, die du angabst«, sagte Giulia, »zeigte zu den Besitztümern des Conte.«
    Bestürzt sah der Bauer zu seiner Frau, die noch immer weinte.
    »Möge der Herr euch auf all euren Wegen beschützen«, sagte Giulia. »Und vergesst nicht den köstlichen Braten.« Sie deutete auf das tote Wild und wandte sich lächelnd ab.
    »Gott auch mit Euch, Schwester«, rief der Bauer ihr hinterher. »Und vielen Dank!«
    Sie ging zurück zu der Stelle, an der sie den Korb abgesetzt hatte, und suchte weiter nach Pilzen. Als der Korb prall gefüllt war, begab sie sich zurück in ihr Kloster.
    Im offenen Torbogen des Klosters warteten aufgeregt schnatternd drei junge Schwestern. Giulia erkannte sie schon aus der Ferne. Es handelte sich um die Schwestern Ada, Liliana und Rossana, mit denen sie eine tiefe Freundschaft verband. Als sie Giulia erblickten, liefen sie ihr entgegen. Giulia blieb stehen und erwartete den Ansturm. Lachend erreichten die drei ihre Mitschwester.
    »Den kannst du mir geben«, sagte Ada und riss den Korb aus Giulias Händen.
    Noch ehe diese ein einziges Wort herausbringen konnte, hakten Liliana und Rossana sich bei ihr unter und zerrten sie Richtung Kloster. Dabei lachten und schwatzten sie ohne Unterlass.
    »So wartet doch!«, rief Giulia. »Seid ihr denn des Teufels?«
    »Die Mutter Oberin erwartet dich«, lächelte Ada. »Du hast einen Brief erhalten.«
    »Einen Brief?«, echote Giulia. Jetzt sind sie völlig verrückt geworden!, dachte sie. Wer sollte ihr schon einen Brief schreiben? Nie zuvor hatte eine Schwester aus dem Kloster Santa Annunziata einen Brief bekommen. Mit Ausnahme der Mutter Oberin, versteht sich. »Wer hat ihn geschrieben?«
    Liliana kicherte. »Du wirst es kaum glauben. Er kommt aus …«
    »Pst!«, unterbrach Schwester Rossana. »Wir haben gelobt, es ihr nicht zu erzählen.«
    »Was steht denn darin?«, unternahm Giulia einen weiteren Versuch, Näheres zu erfahren.
    »Das wissen wir nicht«, antwortete Ada. »Aber die Mutter Oberin war sehr aufgeregt, als sie nach dir schickte.«
    Sie betraten den Klostergarten, in dem allerlei Kräuter wuchsen und Rosenbüsche und Geranien blühten, und schleppten Giulia über eine breite Treppe in den Kreuzgang hinauf. Die Schwestern, die im Garten arbeiteten, blickten neugierig auf und schauten der Gruppe hinterher.
    Vorbei am Dormitorium ging es zu den Räumlichkeiten der Mutter Oberin. Vor deren Türe traten die drei von Giulia zurück. Atemlos und etwas ängstlich schaute sie ihre Freundinnen an.
    »Hineingehen musst du schon ohne uns«, lächelte Rossana.
    Hastig richtete Giulia ihre Ordenstracht und schob eine Haarsträhne unter ihren Schleier. Dann klopfte sie dreimal an die hölzerne Tür. Von drinnen erklang ein »Herein!«, und von guten Wünschen begleitet, öffnete Giulia die Tür und trat hindurch.
    Gleißende Helligkeit empfing Giulia. Die weißen Wände warfen das grelle Sonnenlicht zurück, das aus den großen Fenstern hereindrang. Vor einem der Fenster stand die Mutter Oberin, Schwester Rufina. Sie stand mit dem Rücken zu Giulia und schaute in den Klostergarten hinunter.
    »Ihr habt mich rufen lassen, ehrwürdige Mutter?«, sagte Giulia. Ihre Stimme zitterte.
    Rufina wandte sich um. Ihre sonst so sanften Züge waren wie zu Stein geworden. Ihre Falten waren tief eingegraben. Die milden Augen blickten ernst und voller Sorge. Giulia wollte vor ihr niederknien, um ihren Ring zu küssen, doch Rufina bedeutete ihr, sich zu setzen. An der anderen Seite des schmalen Tisches nahm Rufina Platz. Auf dem Tisch lag eine Depesche mit einem gebrochenen Siegel, das Giulia nicht erkannte.
    Rufina war für Giulia weit mehr als nur die Klostervorsteherin. Rufina hatte Giulia großgezogen, ihr ein ganzes Leben lang Vater und Mutter zugleich ersetzt. Ihre Erziehung war stets fordernd, doch gleichzeitig voller Güte. Durch sie lernte Giulia nicht allein die Worte der heiligen Schriften kennen, sondern, was Rufina allzeit als viel wichtiger fand, das wahre Leben. Schon als Kind begleitete Giulia Rufina in die Dörfer der Umgebung, sah das Elend, in dem viel zu viele lebten, die Armut und den Hunger. Rufina lehrte sie, was Barmherzigkeit wahrhaftig bedeutete, indem sie das Mädchen mit in die Kerker und Verliese nahm, um den Todgeweihten Brot und Trost zu spenden. So war aus Giulia eine kluge und gutherzige Nonne geworden, die

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