Die Tochter des Kardinals
gegenüberliegenden Seite. Sie sah ein Bett, einen Tisch und davor einen Stuhl. Auf dem Tisch standen eine Karaffe und eine verbeulte Schüssel. An der Wand gegenüber vom Bett stand ein Schrank für ihre Habseligkeiten. Giulia legte ihr Gepäck hinein.
Prudenzia blieb an der Schwelle stehen und beäugte die junge Nonne. »Nun schlaf«, sagte sie und wollte sich zum Gehen wenden.
»Mutter«, beeilte Giulia sich zu sagen, »bitte gestattet mir eine Frage. Bisher hat mich niemand über den Grund meines Hierseins unterrichtet. Warum …«
»Du bist hier«, unterbrach sie Prudenzia, »um dem Herrn in Demut zu dienen.« Mehr sagte sie nicht, sondern schlug die Tür zu. Giulia hörte, wie ihre schlurfenden Schritte sich entfernten.
Zu müde, um trüben Gedanken nachzuhängen, legte Giulia ihre Kleider ab, wusch Gesicht und Nacken und kämmte ihr Haar. Dann kniete sie vor dem Bett nieder, um zu beten. Aus den Gebeten wuchsen stille Klagen. Schließlich schlief sie dort, wo sie kniete, mit tränenbenetzten Wangen ein.
8
Wenige Stunden später, Giulia lag neben dem Bett auf dem kalten Boden, riss eine Hand die Tür zu Giulias Zelle unbarmherzig auf. Das Licht der Kerzen und Fackeln fiel auf die schlafende Nonne.
»Auf zur Laudes!«, befahl eine dunkle Frauenstimme. Es war nicht Prudenzia.
Nur langsam wurde Giulia wach. Sie öffnete die Augen und versuchte zu begreifen, wo sie sich befand. Mühsam reckte sie den Kopf und sah zur Tür. Dort stand eine beleibte Nonne, die ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden klopfte. »Wird’s bald?«
»Ja, ja«, ächzte Giulia und stand auf. Der erste Sonnenstrahl fiel durch das kleine Fenster in den winzigen Raum. Giulia benetzte Gesicht und Nacken mit Wasser, spülte ihren Mund aus und trat aus der Zelle.
»Lass dich anschauen«, sagte die Nonne und begutachtete Giulia aus großen schwarzen Augen. Sie verzog den Mund mit den wulstigen Lippen. »Scheußlich siehst du aus«, stellte sie fest und ging den Gang hinauf.
Giulia zögerte nicht, ihr zu folgen.
Derweil öffneten sich die Türen der anderen Zellen, und Nonnen jeden Alters traten auf den Gang. Alle folgten der beleibten Nonne.
Am Ende des Ganges zweigte der Weg zu einer kleinen Kapelle ab. Etwa dreißig Personen mochten hier Platz finden. Links und rechts vom Mittelgang standen einfache Holzbänke, auf denen die Nonnen sich niederließen. An der Stirnseite prangte ein zehn Fuß hohes Holzkreuz. Davor befand sich eine kunstvoll mit bunten Farben bemalte hölzerne Marienstatuette.
Ihrem Rang gemäß suchte sich Giulia einen Platz am weitesten von Kreuz und Jungfrau entfernt neben dem Eingang. Unauffällig beobachtete sie die Nonnen. Einige, insbesondere die jüngeren, taten es ihr gleich und begutachteten das neue Gesicht. Die älteren Nonnen dagegen schienen kaum Notiz von Giulia zu nehmen. Sie blätterten in den Gebetbüchern oder hielten den Blick gesenkt.
Schwester Prudenzia erschien in der Kapelle. Sie trat auf ein Podest neben dem Kreuz und begann das Morgengebet mit lateinischen Versen aus der Heiligen Schrift. Sogar beim Beten klang ihre Stimme keifend. Gleich darauf setzte sie sich auf einen Stuhl, und die feiste Nonne, die Giulia so unsanft geweckt hatte, führte die Laudes weiter. Nach Gebeten folgten Gesänge und darauf wieder Gebete. Schließlich stellte sich Prudenzia erneut auf das Podest und entließ den Konvent mit einem letzten Gebet.
Unschlüssig, was nun für sie zu tun war, blieb Giulia an ihrem Platz und sah den Nonnen zu, die die Kapelle verließen. Da stapfte ihr die feiste Nonne entgegen.
»Ich soll dir von der Mutter Oberin auftragen«, sagte sie, »die Böden in der oberen Etage zu wischen.« Sie hielt inne, sah sich suchend um und rief: »Schwester Fulvia!«
Eine Nonne, sie mochte im gleichen Alter wie Giulia sein, eilte herbei. Ihr kleines Gesicht ähnelte dem eines unschuldigen Mäuschens. Die Augen blickten fröhlich. Ein Eindruck, den ihr geschwungener Mund unterstrich. In den Wangen lagen kleine Grübchen. »Ja, Schwester Regina?«
»Dies hier ist Schwester Giulia«, sagte Regina. »Geh mit ihr in das obere Stockwerk und säubere die Böden. Und vergesst nicht, alles gut abzustauben!«
»Sehr wohl, Schwester«, sagte Fulvia noch immer lächelnd. Dann wandte sie sich an Giulia. »Komm. Ich zeige dir alles.«
Froh darüber, an diesem Ort endlich einen Menschen getroffen zu haben, der die Liebe Gottes im Herzen zu tragen schien, folgte Giulia ihr.
»Du bist also Schwester Giulia.«
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