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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Gejohle trugen sie ihr neues Opfer zum Scheiterhaufen hinüber. Giulia fühlte Todesangst in sich aufsteigen. Sie trat um sich und schrie – vergeblich. Die Flammen kamen immer näher. Sie atmete den beißenden Rauch, spürte an ihrem Kopf die Hitze.
    Da fiel ein Schuss, der die aufgeregten Schreie des Mobs übertönte. Schlagartig machte sich Stille breit. Die Männer stellten Giulia auf den Boden und ließen sie los. Sie folgte den Blicken der Leute, um zu erfahren, wer ihr Lebensretter war. Da stand der Kutscher etwa zwanzig Schritte von der Meute entfernt. In den Händen hielt er zwei Pistolen. Aus der einen rauchte Pulverdampf, die andere hielt er auf Piola gerichtet.
    »Lasst ab von ihr!«, befahl der Kutscher. Zu Giulia rief er: »Kommt her zu mir. Ganz ruhig.«
    Benommen schwankte Giulia dem Kutscher entgegen. Als sie bei ihm war, flüsterte er: »Das war sehr unvorsichtig von Euch. Nun geht zurück zur Kutsche. Ich halte die Leute auf.«
    Erst schleppend, dann immer schneller strebte Giulia der Kutsche entgegen. Als sie sich umwandte, sah sie, dass der Kutscher ihr rückwärts folgte, den Blick fest auf die Meute gerichtet.
    Unverzüglich stieg sie ein. Sie nahm einen großen Schluck aus einer Wasserkaraffe, woraufhin sie sich etwas besser fühlte.
    Nun hatte auch der Kutscher sein Gefährt erreicht. Strafend sah er Giulia an. »Fortan tut Ihr genau das, was ich Euch sage, Schwester!«
    Giulia nickte schnell. »Habt Dank«, sagte sie. »Ihr habt mir das Leben gerettet.«
    Der Kutscher grunzte und bestieg den Kutschbock. Nur Augenblicke später preschten die Pferde vorwärts. Giulia schaute zurück. Die Meute stand noch immer vor dem Feuer. Niemand machte Anstalten, ihnen zu folgen. Sie lehnte sich in das weiche Polster zurück und schloss erschöpft die Augen. Kurz darauf schlief sie ein.
    Die Nacht verbrachten sie in einem Gasthaus in Rieti. Nach einem kurzen Abendmahl, bei dem der Kutscher nur wenig sprach und mit müden Augen dasaß, ging Giulia in ihre Kammer. Sie entzündete eine Kerze und schaute auf die kleinen Lichter der unter ihr liegenden Stadt. Irgendwann setzte sie sich an den klapprigen Tisch und begann, den ersten Brief an Rufina zu schreiben, die schon jetzt Welten entfernt zu sein schien. Noch während sie schrieb, spürte sie, wie ein Teil der Anspannung von ihr wich. Jetzt, wo sie diese Zeilen zu Papier brachte, fühlte sie sich Rufina und den Mitschwestern wieder nahe – und sich selbst weniger einsam. Sie beendete den Brief mit einem lieben Gruß, dann ging sie zu Bett. Mit den Bildern der grausamen Verbrennung der Protestanten und des hassverzerrten Gesichts von Piola fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

7
    Am nächsten Morgen brachen sie auf. In den nächsten Tagen erreichten sie über Montenero und Mentana das träge schwarze Wasser des Tiber, und schließlich, am Abend des siebten Tages, erblickten sie die Hügel Roms. In der Dämmerung fiel Giulia als Erstes die Helligkeit auf, die die Stadt ausstrahlte. Hunderte, Tausende Laternen mussten in den Straßen brennen. Hinzu kamen unzählige kleine Lichter in den Fenstern der Häuser. Nie zuvor in ihrem Leben hatte Giulia einen derart hellen Ort gesehen. Zugleich spürte sie ein Gefühl der Beklemmung. Eine so große Stadt! Es mochte Jahre dauern, bis ein Mensch sich darin zurechtfand. Allein an einer einzigen Straße standen mehr Häuser als in jedem der ihr bekannten Dörfer. Sie sah glänzende Paläste, größer und imposanter als alles, was ihr Auge je erblickt hatte. Mittendrin ragte das gewaltige, wenngleich verfallene Kolosseum auf, von dem Rufina so oft eindrucksvoll berichtet hatte.
    Je näher sie Rom kamen, desto intensiver wurde der Geruch nach Unrat, Exkrementen und Schweiß, der ihnen entgegen strömte. Und plötzlich spürte Giulia Angst. Angst, in diesen unwirtlichen Körper einzudringen und niemals wieder hinauszufinden. Ihr war, als würde ein sagenhaftes Ungeheuer sein stinkendes Maul weit aufreißen, um sie für immer zu verschlucken. Sie fühlte sich wie Jona im Angesicht des Wals.
    Um sich abzulenken, schaute sie den Leuten auf der Straße zu. Bauern kamen von den Märkten und lenkten ihre leeren Fuhrwerke zurück zu ihren Höfen. Männer stritten mit Frauen, Frauen mit Kindern und Kinder mit anderen Kindern. Eine Gruppe gefesselter Gefangener, flankiert von Soldaten, marschierte in die Stadt hinein. Reiche Adelige oder Patrizier ließen sich in Sänften herumtragen. Ein über die Maßen fetter Mann versuchte, aus

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