Die Tochter des Kardinals
Fulvia lächelte bedeutungsvoll.
»Du hast schon von mir gehört?«
Fulvia nickte heftig. »Aber gewiss«, sagte sie.
Hoffnung keimte in Giulia auf. Vielleicht vermochte Fulvia ihr zu sagen, warum sie, Giulia, an diesen Ort berufen wurde. »Dann weißt du auch, warum ich hier bin?«
Fulvia warf lachend den Kopf in den Nacken. »Das hat dir noch niemand gesagt?«
»Nein«, antwortete Giulia. Sie war ein wenig verärgert. Zum einen schien diese junge Nonne mehr zu wissen als sie selbst. Zum anderen würde sie selbst wohl kaum fragen, wenn sie die Antwort wüsste.
»Du bist hier …«, begann Fulvia, doch plötzlich unterbrach ein lautstarkes Räuspern ihren Redeschwall.
»Hört auf zu schwatzen!«, brummte Regina, die noch immer hinter ihnen herging.
Fulvia zwinkerte Giulia schelmisch zu.
Durch einen schmalen Gang am Ende des Flures gelangten sie in eine große Halle, die etwa sechshundert Fuß maß. Giulia traute ihren Augen nicht angesichts des unglaublichen Reichtums. Der Boden war aus weißem Marmor, er glänzte so, dass sie ihr Spiegelbild darin erkennen konnte. Mächtige Stützpfeiler, zwischen denen Skulpturen aus Gold und Marmor standen, ragten bis unter die gewölbte Decke, die einhundert Fuß über ihnen zu schweben schien. An den Pfeilern prangten kunstvoll gearbeitete Ornamente aus Gold und Silber. Dazwischen hingen Engelsfiguren.
Als Giulias Blick weiterstreifte, sah sie die dreihundert Fuß hohe Kuppel über sich, und da wusste sie, wo sie sich befand: im Innern des Petersdoms. Durch etwa zwei Dutzend quadratische Fenster in der Kuppel und in der Laterne darüber drang heller Sonnenschein herein. Giulia beobachtete kirchliche Würdenträger, die durch diese heilige Halle gingen, und sie fragte sich, wie diese mit gesenktem Blick oder in Gespräche vertieft die prachtvolle Umgebung zügig durchschreiten konnten und nicht voller Ehrfurcht und Demut auf die Knie fielen.
Sanft zupfte Fulvia an Giulias Ärmel. »Hier entlang«, sagte sie.
Hinter einer Tür in einem der Seitenkapitel führte eine schmale Treppe nach oben. An deren Ende lag ein breiter Flur, der nicht minder prächtig war als die darunter liegende Halle. Marmor, Gold und Silber überall.
Aus einem Lagerraum brachte Fulvia Eimer, Bürsten und Lappen. Wasser holten sie aus einem kleinen Springbrunnen, der mitten auf einer frei schwebenden Galerie mit Blick auf den Innenhof stand. Aus den Augenwinkeln sah Giulia, dass Schwester Regina die jungen Nonnen beobachtete.
Fulvia kniete sich auf den Boden und begann, den Marmor zu scheuern und zu schrubben. Ohne zu zögern, tat Giulia es ihr gleich. Es war eine Arbeit, die ihr aus ihrem eigenen Kloster vertraut war.
Giulia spürte Reginas Blick in ihrem Rücken. Somit war ein Gespräch mit Fulvia vorerst unmöglich. Dabei schien sie genau zu wissen, warum sie, Giulia, in den Vatikan geholt worden war. Es war zum Haareraufen!
Stunden vergingen, und Giulias Gedanken kreisten nur noch um die Reinlichkeit des Marmors. Die trostlose Eintönigkeit ihrer Aufgabe machte sich auch in ihrem Geist breit. Da vernahm sie aus der Tiefe des anscheinend in die Unendlichkeit reichenden Ganges ein misstönendes Knirschen. Giulia blickte auf. Plötzlich tauchte ein alter, gebeugt gehender Mann mit sonnengegerbter Haut und schlohweißem Haar aus einem Seitengang auf. Er zog einen Handkarren hinter sich her. Sein Blick war unstet auf den frisch geputzten Boden gerichtet. Hin und wieder lachte er laut auf. Er brabbelte Unverständliches, während er kopfschüttelnd den Karren zog. Auf dem Karren lagen frisch geschnittene Blumen.
»Wer ist das?«, flüsterte Giulia.
»Das ist Pippo, der Gärtner«, flüsterte Fulvia zurück. »Ein gutmütiger Kerl, aber ein wenig …« Sie ließ den Zeigefinger an ihrer Schläfe kreisen.
Giulia verstand. Sie beobachtete Pippo so unauffällig wie möglich. Er machte in der Tat einen harmlosen Eindruck, wie er da kichernd und mit unsichtbaren Wesen debattierend näher kam. Und plötzlich, als er an Giulia vorüberging, klärte sich sein Blick. Er sah ihr direkt in die Augen und lächelte, dann quasselte er sinnlos weiter. Gewiss hatte sie sich getäuscht. Oder der alte Mann hatte für einen Augenblick aus der Dunkelheit seines Verstandes herausgefunden.
»Schwester Giulia!«, rief Regina, und Giulia schrak auf.
Giulia stand auf und ging zu Regina. »Ja, Schwester?«
»Geh zurück in deine Zelle. Wasch dich und zieh ein frisches Gewand an. Dann warte dort auf mich, bis ich
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