Die Tochter des Kardinals
Papst Sixtus.«
Giulia stockte der Atem. Jemand hatte versucht, den Stellvertreter Christi auf Erden zu ermorden? Wer würde so etwas Unvorstellbares wagen und somit sein Seelenheil auf ewig verlieren? Ein heiliger Mann, der den Tod gewiss nicht verdient hatte. Ganz gleich, wer der Mörder war.
»Glücklicherweise konnten wir den Mord verhindern«, sagte Carafa und ging langsam auf Giulia zu. »Doch es gab ein Opfer zu beklagen. Ihre Seele möge an der Seite des Herrn wohnen immerdar.«
»Wer war es?«, fragte Giulia mit belegter Stimme.
Carafa schien bedrückt vor sich hin zu starren. Dann hob er den Blick. »Eine junge Nonne. Eine fromme Dienerin des Herrn und Seiner Heiligkeit.«
Und in diesem Augenblick begann Giulia zu ahnen, warum Carafa sie nach Rom gerufen hatte. Dennoch beschloss sie, vorerst zu schweigen und Carafas Ausführungen zu lauschen.
»Der unglückliche Tod dieses erbarmungswürdigen Geschöpfs«, sagte Carafa, »ist der Grund Eures Hierseins.«
Nun sah Giulia ihre Ahnungen bestätigt. »Ihr erwartet von mir, dass ich ihren Platz einnehme, Eminenz?«, fragte sie.
»Das habt Ihr gut erkannt«, antwortete Carafa.
»Gestattet mir eine Frage.«
»Gewiss.«
Sorgfältig wählte sie ihre Worte. »Warum habt Ihr mich gerufen? Ihr kennt mich nicht. Es muss Dutzende, wenn nicht gar Hunderte junger Nonnen in Rom geben, die diese Aufgabe hervorragend zu erfüllen vermögen. Warum ich? Eine unerfahrene Nonne aus der Provinz, die Rom nur aus Erzählungen kannte.«
Carafa lächelte. Es war wieder dieses unnatürlich kalte Lächeln, das Giulia frieren ließ. »Wisst Ihr, woher der Heilige Vater stammt?«
»Nein«, sagte Giulia. Sie verstand die Frage nicht. Was sollte ihre erzwungene Reise nach Rom mit der Herkunft des Papstes zu tun haben?
»Seine Heiligkeit erblickte das Licht der Welt in Grottammare in der Mark Ancona«, erklärte Carafa.
»Ich kenne Grottammare!«, stieß Giulia hervor. »Es liegt unweit von Giulianova. Oft bin ich gemeinsam mit der Mutter Oberin zu den Märkten gefahren. Aber was hat das mit mir zu tun, Eminenz?«
»Die Situation ist ein wenig delikat«, sagte Carafa. Seine langen Finger umspielten den verschnörkelten Stiel seines Glases. »Ich mache mir Sorgen um das Wohl Seiner Heiligkeit. Dieser Mordversuch war nicht der einzige in den vergangenen Jahren. Wir wissen aus der Geschichte, dass das Leben jedes Papstes unentwegt in Gefahr ist. Nur zu oft ist es den Teufeln in Menschengestalt gelungen, einen dieser heiligen Männer zu töten.«
Voller Ungeduld erhoffte sich Giulia weitere Erklärungen des Kardinals. Wenn er doch nur endlich sagen würde, was er von ihr erwartete.
»Diesmal ist der Mörder leider entkommen«, sagte Carafa weiter. »Wir müssen damit rechnen, dass er zurückkehrt und seine Tat zu vollenden sucht.«
»Glaubt Ihr, es liegt in meinen Kräften, den Papst vor einem Mörder zu schützen, Eminenz?«, fragte Giulia. »Hierfür ist die Garde gewiss besser gerüstet.«
»Glaubt es oder nicht«, gab Carafa zurück, »aber Ihr seid die Einzige, die einen weiteren Anschlag auf sein Leben zu vereiteln vermag.«
Das konnte sich Giulia beim besten Willen nicht vorstellen.
»Ihr müsst wissen«, sagte Carafa, »der Heilige Vater, vorsichtig geworden durch die vielen Männer, die ihm nach dem Leben trachten, schenkt nur wenigen Menschen sein Vertrauen. Und ein Schlüssel zu seinem Vertrauen liegt in seiner Herkunft. Es sind die Menschen aus den Monti della Laga, aus den Monti Sibillini, aus den Abruzzen, einfache Bauern, denen Anstand und Ehre mehr bedeuten als Gold, Edelsteine und Macht. Arme Pächter, wie sein Vater einst einer war. Und es sind die Fischer an der Adria, denen sein Herz gehört. Anständige, hart arbeitende Männer und Frauen, die an gottverlassenen Orten wie Pedaso oder Martinsicuro dem Meer mit aller Macht abverlangen, was es herzugeben vermag. So liegt in der Zufälligkeit Eurer Herkunft der Schlüssel zum Herzen des Heiligen Vaters.«
»Verzeiht, Eminenz«, sagte Giulia, »doch verstehe ich noch immer nicht.«
Carafa stellte sein Glas ab und breitete die Arme aus. »Wir, die Männer, die das Leben des Heiligen Vaters schützen wollen, können dies nicht direkt in seiner Nähe tun. Selbst wir spüren ein gewisses Misstrauen. Über seine Pläne lässt er uns ebenso im Unklaren wie über die Menschen, die er trifft. Ich, der Vizekanzler der Kirche, weiß weniger über das Leben und die Gedanken des Heiligen Vaters als sein Leibkoch. Daher
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