Die Tochter des Kardinals
seiner Sänfte zu steigen, strauchelte über seine eigenen Füße und fiel der Länge nach hin. Zeternd rappelte er sich auf und ließ seinen Ärger an den Trägern aus. Giulia musste lachen, und sie verstand, dass auch in Rom keine anderen Menschen lebten als dort, woher sie stammte. Etwas ruhiger lehnte sie sich zurück.
Auf der von Olivenbäumen gesäumten Via Nomentana fuhren sie in die Stadt hinein. Am Piazzale Porta Pia bogen sie nach links und fuhren kreuz und quer durch enge Straßen und Gassen, bis sie auf der Ponte Margherita den mäandernden Tiber überquerten.
Und dann sah sie ihn. Es war, als hätte Gottes Hand dieses unbeschreibliche Bauwerk von einem Augenblick zum anderen aus dem Nichts vor Giulia erschaffen. Zahllose Fackeln und Laternen ließen ihn in gleißendem Weiß vor dem dunklen Himmel erstrahlen: den Petersdom. Rund ein Dutzend Stufen, so breit wie das ganze Gebäude, führten zum Hauptportal. Acht Säulen an der Fassade säumten den Weg hinein.
Als sie um den Templum Vaticanum herumfuhren, sah Giulia, dass der monumentale Bau noch Jahre oder Jahrzehnte von seiner Vollendung entfernt war. Das Mauerwerk an der Rückseite war nicht verputzt. Auf dem Dach unterhalb der Kuppel richteten die ersten Heiligenstatuen ihre Blicke hinunter in die Stadt. An den Außenwänden des Zentralbaus der Kirche arbeiteten auch zu dieser späten Stunde unermüdlich die Steinmetze, Maurer, Tischler und Bildhauer. Das Klopfen ihrer Hämmer erfüllte die warme Nacht.
Unvermittelt hielt die Kutsche an. Giulias Herz klopfte wild, als der Kutscher die Tür öffnete und ihr hinaus half. Anschließend zog er ihr Gepäck vom Dach der Kutsche und bedeutete Giulia, ihm zu folgen.
Sie gingen zu einer unscheinbaren Tür an der Rückseite der Kirche. Davor hielten zwei Männer der Schweizergarde Wache. Der Kutscher zeigte seinen Passierschein vor.
In diesem Augenblick riss jemand von innen die Tür auf. Eine alte, kümmerliche, laut keifende Nonne stürzte heraus und stieß die Gardisten beiseite. Ihre krumme Nase mit scharfer Spitze schien den Kutscher auf der Stelle erdolchen zu wollen. Aus kleinen schwarzen Augen, die von dunklen Ringen umgeben waren, stierte sie ihn giftig an. »Elender Tagedieb!« Sie baute sich vor ihm auf. »Seit Stunden warte ich auf dich! Wo hast du dich nur herumgetrieben?«
Der Kutscher zuckte nicht mit der Wimper und sagte nichts. Die Alte zeterte weiter: »Ich will gar nichts hören von deinen immer gleichen Entschuldigungen! Geh mir aus den Augen! Unverzüglich!«
»Gott mit Euch, Schwester«, raunte er Giulia zu, als er sich umwandte und zur Kutsche ging. Mit einem Gefühl seltsamer Verbundenheit sah sie ihm nach.
Wieder ertönte die scharfe Stimme der uralten Nonne. Sie war näher gekommen und begutachtete den jungen Neuankömmling. »Da bist du also«, sagte sie, und Giulia war dankbar, dass sie nicht mehr schrie. »Ich bin Schwester Prudenzia. Doch du wirst mich mit Mutter oder Mutter Oberin ansprechen.«
Giulia hätte weinen können. Dieses bösartige Weibsbild sollte fortan das sein, was bisher die liebevolle und fürsorgliche Schwester Rufina für sie gewesen war? Die Aufgabe einer Äbtissin bestand nicht allein darin, ihren Konvent zu leiten, sondern sich in gleichem Maße um das geistige und körperliche Wohlergehen ihrer Schützlinge zu kümmern. Dazu schienen das verkümmerte Herz und der verdorrte Verstand dieser Nonne jedoch kaum noch in der Lage zu sein. Warum, in Gottes Namen, hatte der Herr sie an diesen Ort befohlen?
»Pack deine Sachen und folge mir!«, befahl Prudenzia und humpelte los, ohne auf Giulia zu warten.
Giulia griff nach ihrem Gepäck und lief hinter ihr her in die Kirche hinein. Sie gelangte in einen schmalen, schmucklosen Gang, der von Fackeln an den Wänden beleuchtet wurde und in dem es muffig roch. Der Gang mündete in einem ebenso kargen Raum, aus dem drei Türen hinausführten. Prudenzia wählte die rechte Tür, öffnete sie und ging hindurch. Dahinter lag ein breiter Gang. An den Wänden hingen Portraits unbekannter, längst verstorbener kirchlicher Würdenträger. Am Deckengewölbe leuchteten bunte Fresken im Schein der Kerzen. Links und rechts befanden sich Türen mit kleinen vergitterten Öffnungen, hinter denen Dunkelheit lag.
Vor einer dieser Türen blieb Prudenzia stehen. »Da hinein!«, befahl sie.
Giulia öffnete die Tür. Dahinter lag eine kleine Kemenate. Mondlicht schien durch ein winziges Fenster unterhalb der Decke an der
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