Die Tochter des Kardinals
beginnen würde. Sie erwartete, dass man ihr zu gegebener Zeit Bescheid geben würde.
Und so kam es auch. Nach der Laudes beugte sich Schwester Reginas feistes Gesicht über sie. Mit mürrischer Miene bedeutete sie Giulia, ihr zu folgen. Schwester Fulvia winkte Giulia lächelnd und aufmunternd zu.
Sie stiegen über eine Treppe in das obere Geschoss und durchstreiften die Gänge, die Giulia gestern mit Fulvia gereinigt hatte. Je näher sie den Räumen des Papstes kamen, desto mehr Gardisten entdeckten sie, die Wache hielten oder durch die Gänge und Hallen patrouillierten.
Vor einem goldenen Portal blieb Regina stehen. »Von hier an gehst du allein.« Sie pochte mit dem diamantenbesetzten Türöffner dreimal gegen das Portal und verschwand.
Giulia wartete aufgeregt. Das Portal öffnete sich einen Spalt, und das schmale, blasse Gesicht eines jungen Geistlichen tauchte auf. Er lächelte. »Ihr müsst Schwester Giulia sein.«
»Ja«, hauchte sie.
»Mein Name lautet Monsignore Gazetti«, sagte der Geistliche und bat sie herein.
Giulia betrat einen prachtvoll ausgestatteten Raum von der Größe der Kapelle, in der sie noch vor wenigen Augenblicken gebetet hatte. An den Wänden hingen Porträts ehemaliger Päpste, Wandteppiche und Bilder Jesu und seiner Jünger. Auf dem edlen dicken Teppich standen ein kleiner Tisch und vier mit Damast bezogene Stühle. An einer Wand erhob sich ein Schrein mit einem Kreuz und einer Reliquienschatulle. Große Fenster ließen das Sonnenlicht herein.
»Seine Heiligkeit befindet sich noch beim Morgengebet. Bis er in seine Gemächer zurückkehrt, habt Ihr nicht viel zu tun«, sagte Gazetti. Er wirkte freundlich, aber bestimmt. »Achtet darauf, dass frische Blumengestecke hingestellt sind. Seine Heiligkeit liebt Blumen. Achtet auch darauf, dass ein gefülltes Tintenfass, eine unbenutzte Schreibfeder und frisches Siegelwachs auf seinem Schreibtisch zu finden sind. Achtet auf Sauberkeit und gute Luft in allen Räumen. Lest ihm jeden Wunsch von den Augen ab. Ihr seid dafür verantwortlich, dass es ihm an nichts mangelt. Morgens trinkt er Wasser, mittags Wein und abends Tee. Seine Mahlzeiten werden aus der Küche geliefert und von Euch angerichtet, Schwester. Sollte Seine Heiligkeit sich nicht im Petersdom aufhalten, weist Euch Schwester Prudenzia andere Aufgaben zu. In der übrigen Zeit bin allein ich für Euch verantwortlich.«
»Wie Ihr wünscht, Monsignore«, sagte Giulia. Dabei wäre sie ihm am liebsten um den Hals gefallen, so glücklich war sie über seine letzten Worte.
Gazetti übertrug ihr noch weitere Aufgaben und klärte sie über die Sicherheit im Vatikan auf. »Eines noch«, sagte Gazetti abschließend, »richtet nur dann das Wort an Seine Heiligkeit, wenn er Euch dazu auffordert.«
Giulia nickte heftig. Sie hoffte, sie würde an alles denken, was Gazetti ihr aufgetragen hatte.
Im Nebenraum öffnete sich eine Tür.
»Es ist so weit«, sagte Gazetti. »Das muss der Heilige Vater sein. Nehmt dort das silberne Tablett mit der Karaffe und dem Becher und reicht es ihm.« Er deutete auf das Tablett, das auf einem Tischchen unter dem Fenster stand, und lächelte. »Ich bin sicher, Ihr werdet Eure Aufgabe hervorragend meistern.«
Giulias Herz pochte heftig. In wenigen Augenblicken würde sie dem bedeutendsten Mann der Christenheit gegenüberstehen – und wohl auch dem mächtigsten. Sie nahm das Tablett auf. Ihre Hände zitterten so stark, dass Karaffe und Becher klapperten. Vorsichtig, den Blick auf das Tablett gerichtet, ging sie durch den Vorraum zur angelehnten Tür hinüber. Gazetti übernahm das sanfte Anklopfen und hinter ihm betrat sie das Arbeitszimmer des Papstes.
Der Heilige Vater hatte just hinter einem großen, schweren Schreibtisch Platz genommen. Über ihm, auf der Rückenlehne des mit rotem Damast bezogenen Stuhles, prangte sein Wappen: ein Löwe, der drei Birnen in seinen Krallen hielt. Der Heilige Vater trug ein rotes Gewand, auf dem Kopf eine weiße Kalotte und um den Hals das weiße Pallium mit schwarzen Kreuzen. Seine dunklen Haare waren von unzähligen silbrigen Fäden durchzogen, ebenso wie die buschigen Augenbrauen und der mächtige Vollbart. Seine wachen Augen blickten aufmerksam auf die vor ihm ausgebreiteten Dokumente, während sein Mund mürrisch zuckte.
Von einem Augenblick zum anderen bekam Giulia Angst vor diesem Mann. Seine Autorität schien sie, Rom und die ganze Welt zu überfluten. Wie im Traum näherte sie sich dem Schreibtisch, stellte das
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