Die Tochter des Kardinals
müsst Ihr meine Augen und Ohren sein.«
Giulia glaubte, der Boden unter ihr würde zu schwanken beginnen. »Eminenz«, stammelte sie, »Ihr wünscht, dass ich den Heiligen Vater für Euch ausspioniere, indem ich die Aufgaben der ermordeten Schwester übernehme?«
»Es geschieht allein zum Schutz Seiner Heiligkeit«, versicherte Carafa.
Giulia nahm all ihren Mut zusammen und fragte: »Und wer bietet mir Schutz?«
Darauf schien Carafa gewartet zu haben. Die Antwort kam zügig. Beinahe zu zügig. »Die Garde selbstverständlich.«
Dieselbe Garde, die den Papst bisher nur mit größter Mühe zu schützen vermochte?, dachte Giulia. Wie sehr würden die Soldaten auf eine unbedeutende Nonne achtgeben? Dennoch hatte es der Kardinal verstanden, an ihr Pflichtgefühl zu appellieren. Ihr Eid Gott gegenüber forderte, das Leben des Stellvertreters Christi auf Erden zu hüten. Ihr eigenes Leben war ohnehin weitaus weniger wert als das des Heiligen Vaters. Und wer konnte schon wissen, ob sie bei diesem Auftrag ihr Leben verlieren würde?
»Ihr zögert?«, fragte Carafa.
»Nein, nein, Eminenz«, beeilte sich Giulia zu sagen. »Ich werde tun, was Ihr von mir verlangt.«
Carafa lächelte zufrieden. »Gut. Ich wünsche, dass Ihr mir regelmäßig Bericht erstattet. Dabei muss ich alles wissen. Wann er aufsteht, wann er schlafen geht, welche Personen er trifft. Ich will wissen, was er morgen, nächste Woche und nächstes Jahr vorhat. Ich will sogar wissen, welchen Wein er zur Mittagszeit trinkt.«
Giulia nickte. »Ihr sollt es erfahren, Eminenz.«
Carafa hob den Zeigefinger. »Nur eines noch«, sagte er. »Kein Sterbenswörtchen zu irgendwem über unsere Abmachung. Nicht einmal der Heilige Vater darf wissen, dass Ihr auf mein Geheiß handelt. Diese Kirche hat tausend mal tausend Ohren.«
»Ich verstehe, Eminenz.«
»Gut«, sagte Carafa. »Euer Dienst in den Gemächern Seiner Heiligkeit beginnt morgen nach der Laudes. Bis dahin macht Euch mit Eurer neuen Umgebung vertraut und tut, was immer Schwester Prudenzia Euch aufträgt. Ihr könnt gehen.« Damit wandte er sich um und starrte den Wandteppich hinter seinem Tisch an.
»Sehr wohl, Eminenz«, sagte Giulia und machte auf der Stelle kehrt. Erst an der Tür fiel ihr noch etwas ein. »Wieso ich, Eminenz? Es gibt viele Nonnen, die derselben Gegend wie der Heilige Vater entstammen. Wie seid Ihr ausgerechnet auf mich gekommen?« Täuschte sie sich, oder war Carafa bei der Frage leicht zusammengezuckt?
»Bischof Monteno hat mir Euren Namen genannt«, sagte er.
Giulia kannte den Bischof. Sie musste also keinerlei Bedenken haben. Trotzdem verstand sie nicht, warum Bischof Monteno den Kardinal ausgerechnet an sie verwiesen hatte. Doch musste sie alles verstehen? Sie nickte und verließ wortlos die Räumlichkeiten des Kardinals.
10
Kaum war die Nonne verschwunden, klopfte es, und die Tür öffnete sich wieder. Ein junger Geistlicher erschien im Rahmen.
»Was gibt es?«, fragte Carafa.
»Der Conte Mattei bittet, vorgelassen zu werden«, sagte der Priester.
Carafa machte eine einladende Handbewegung. »Er soll eintreten.«
Der Geistliche trat zur Seite und gab einem bunt gekleideten Mann den Weg frei. Der Conte trug einen modischen Hut mit breiter Krempe und einer langen Feder. Im Gürtel um seinen dicken Bauch steckte links ein Degen, rechts eine Pistole – das Privileg der Barone Roms, im Vatikan Waffen zu tragen. Mattei zog seinen Hut und machte eine betont tiefe Verbeugung, die seinen Respekt vor dem Kardinal Lügen strafte. Als er sich wieder aufrichtete, glänzte sein Gesicht puterrot, und seine gierigen kleinen Augen formten sich zu Schlitzen.
»Seid willkommen, Don Patrizio. Es freut mich, Euch zu sehen«, sagte Carafa. Seine Stimme klang tonlos, und er verhehlte nicht, dass keines seiner Worte ehrlich gemeint war.
»Spart Euch die Blumen«, stieß Mattei hervor. Seine Linke lag drohend auf dem Knauf des Degens. »Wir wissen beide, dass es für keinen von uns ein Vergnügen ist.«
Schnell trat Carafa vor und blieb eine Armlänge vor Mattei stehen. Seine Haltung glich der einer Raubkatze. »Dann sind der Höflichkeiten genug ausgetauscht. Sagt, was Ihr vom Vizekanzler der Kirche wollt.«
Eingeschüchtert ging Mattei ein paar Schritte zurück. Doch dann fing er sich wieder. »Ihr fragt, was ich will?«, gab er zurück. »Die Güter der Campagna, wenn sich der Vizekanzler der Kirche vielleicht erinnert.« Die letzten Worte Matteis flossen über vor Spott und
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