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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Weg zum Altar. Die Kirche war menschenleer. Vermutlich hatten die Gardisten zuvor dafür gesorgt, dass niemand die Sicherheit und die Gebete des Papstes zu stören vermochte.
    Vor dem Altar aus Eichenholz, auf dem ein sieben Fuß hohes Kruzifix mit dem gekreuzigten Menschensohn stand, kniete der Heilige Vater nieder. Giulia tat es ihm gleich, verharrte aber auf einer der unteren Stufen zum Altar.
    Eine Weile beteten sie still. Giulia fand jedoch kaum Ruhe. Wer hätte noch vor wenigen Wochen gedacht, dass sie gemeinsam mit dem Heiligen Vater dessen Grab besuchen würde? Dass sie mit ihm, dem Oberhaupt der Christenheit, allein in einer der größten Kirchen Roms beten würde? Noch immer war sie nicht daran gewöhnt, in der Nähe dieses Mannes zu sein. Es mochte noch Wochen oder gar Monate dauern, bis sie begreifen würde, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte.
    Ächzend richtete sich der Heilige Vater auf und nahm in der ersten Bank Platz. »Setz dich zu Uns«, lud er Giulia ein, und seine Stimme hallte von den hohen Wänden wider.
    Giulia tat, wie ihr geheißen.
    »Es ist dir unangenehm, an Unserer Seite zu sein«, sagte der Papst, ohne sie anzusehen.
    »Mitnichten, Euer Heiligkeit«, sagte Giulia. »Es ist eine große Ehre für mich, die …«
    Er lächelte. »Die du lieber anderen gönnen würdest.«
    »Nein, Euer Heiligkeit«, beeilte sich Giulia zu sagen. »Doch gewiss haben die Männer vor den Toren der Basilika ein größeres Anrecht auf Eure Gesellschaft.«
    »Pah! Wir können sie kaum noch ertragen, diese Heuchler, Leisetreter und Pharisäer.«
    »Gewiss wollen sie nur das Beste für Eure Heiligkeit«, sagte Giulia.
    »Nicht für , sondern von Uns«, sagte der Papst ohne jeglichen Spott. »Die Monsignores wollen Bischofshüte, die Bischöfe den Purpur. Und die Kardinäle … die wollen auf den Heiligen Stuhl.«
    Und in diesem Augenblick begriff Giulia, welch einsamer Mann da neben ihr saß. In seinen Händen hielt er die größte Macht auf Erden, doch gleichzeitig lastete auf seinen Schultern die größte Einsamkeit. Nur Gott und seinem Gewissen war er Rechenschaft schuldig, sonst stand er allein. Und all die Priester und Nonnen um ihn herum vermochten es nicht, ihm diese Bürde zu erleichtern. So blieb unter dem weißen Gewand nur das übrig, was er seit dem Tage seiner Geburt war: ein Mensch. Nicht mehr und nicht weniger.
    Plötzlich hörte sie, wie der Papst kicherte. »Man sagt, Wir wären geschwätzig. Man sagt, Wir wären aufbrausend und unberechenbar. Mal koche Unser Blut wie in einem Siedetopf, mal sei es erkaltet wie die Schenkel einer alten Vettel.« Er lachte leise auf.
    »Man spricht von der Großzügigkeit Eurer Heiligkeit«, sagte Giulia. »Man spricht davon, dass die Menschen in den höher gelegenen Teilen Roms täglich durch das Acqua Felice mit ausreichend Wasser versorgt werden. Dass Ihr gute, breite Straßen gebaut habt. Dass Ihr die Banditen bekämpft habt und sich die Bürger Roms wieder sicher fühlen. Dass Ihr den Juden die Rechte zurückgabt, die Eure Vorgänger ihnen genommen hatten. Dies sind die Taten, über die ich die Leute reden höre, wenn sie Euren Namen nennen, Euer Heiligkeit.«
    »In der Tat«, sagte der Papst. »Das Volk liebt Uns dafür, aber die Kardinäle hassen Uns wegen anderer Dinge.«
    Giulia zögerte nur kurz, ob sie die Frage stellen sollte. »Aus welchem Grunde sollten die Kardinäle Euch hassen?«
    »Zu viele Gründe, um sie alle aufzuzählen, mein hübsches Kind aus Giulianova«, antwortete Sixtus. »Es begann mit der Ernennung Unseres Neffen Alessandro zum Kardinal kurz nach Unserer Wahl auf den Heiligen Stuhl.«
    »Was erzürnte die Kardinäle an dieser Entscheidung, Euer Heiligkeit?«
    »Er zählte erst fünfzehn Jahre.«
    »Ich verstehe«, sagte Giulia.
    »Dabei zeigt er bis dato hervorragende Eigenschaften«, fuhr der Papst fort. »Er war es, der Uns den Kopf des Banditen brachte, der sich selbst König der Campagna nannte.«
    Je länger sie nebeneinander in der Kirchenbank saßen, desto mehr verlor Giulia ihre Scheu. »Doch dies allein rechtfertigt kaum den Hass der Kardinäle, Euer Heiligkeit.«
    Er schüttelte den Kopf. Sein Augen waren auf den gekreuzigten Jesus gerichtet, als er weitersprach: » Postquam verus .«
    »Ich verstehe nicht, Euer Heiligkeit.«
    »Das war der Name der Bulle, mit der Wir das Kardinalskollegium reformierten. Damit setzten Wir die Höchstzahl der Kardinäle auf siebzig fest. Eine Ungeheuerlichkeit in den Augen der

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