Die Tochter des Kardinals
»Willst du mir erzählen, das gäbe es in Santa Annunziata nicht?«
»Gewiss nicht«, sagte Giulia voller Empörung.
Fulvia lachte auf. »Wie auch immer.« Sie hüstelte. »Bist du schon sehr aufgeregt?«
»Wegen der Reise?«
»Weswegen sonst?«
»Nicht sehr«, sagte Giulia. »Meine Sorge gilt allein dem Heiligen Vater. Ich weiß nicht, ob er genügend Kraft für die beschwerliche Reise hat.«
»Wie lange werdet ihr fort sein?«, fragte Fulvia.
»Es heißt, in vier Wochen sind wir zurück in Rom«, antwortete Giulia. »Sollte es dem Heiligen Vater nicht gut ergehen, kehren wir früher zurück.«
»Sorge dich nicht«, sagte Fulvia und legte Giulia sanft eine Hand auf den Arm. »Der allmächtige Vater wird dich, den Papst, Capitano Geller und alle anderen beschützen und euch sicher heim nach Rom führen.«
Giulia bekreuzigte sich. »Amen«, flüsterte sie.
»Gehen wir zurück«, schlug Fulvia vor. »Es wird kühl.«
Auf dem Weg zum Petersdom schwatzten die beiden Nonnen noch über dieses und jenes und wünschten sich auf den Stufen der Basilika eine gute Nacht. Giulia wollte noch Blumen aus den Gärten holen, um dem Heiligen Vater bei dessen Abreise eine kleine Freude zu bereiten.
Aus einem Schuppen am Rande der Gärten holte sie einen Weidenkorb und ein Messer. Damit ging sie in die Mitte der Rosengärten, wo die ersten Blüten silbrig glänzten. Sie kniete sich auf den Boden, schnitt Stiel um Stiel ab, legte die Blumen vorsichtig in den Korb und hing dabei ihren Gedanken nach.
Der Korb war halb gefüllt, als sie plötzlich hochschreckte. Sie hatte Schritte gehört, und als sie neben sich zwei Beine sah, stieß sie einen Schrei aus. Doch dann atmete sie erleichtert durch, als sie erkannte, dass es Pippo war, der sich jetzt lächelnd neben sie hockte. »Du bist es«, keuchte sie. »Du hast mir einen gehörigen Schrecken eingejagt. Willst du mir helfen, Rosen für den Heiligen Vater zu schneiden?«
Gemeinsam schnitten sie die schönsten Rosen, die sie finden konnten. Giulia war dankbar, dass Pippo bei ihr war. Allein in den großen, dunklen Gärten war ihr doch ein wenig unheimlich zumute gewesen.
»Ich muss mit Euch reden, Schwester Giulia«, sagte plötzlich eine tiefe Stimme neben ihr.
Giulia fuhr zusammen. Woher kamen die Worte? Niemand war hier außer ihr selbst und Pippo. Und Pippo konnte es nicht gewesen sein, der zu ihr gesprochen hatte. Folglich war es Einbildung. Oder nicht? Sie sah Pippo an. Der alte Gärtner schnitt gerade eine Rose von einem Strauch. »Pippo?«, fragte sie. Ihre Stimme klang schwach und brüchig. »Hast du etwas gesagt?«
Pippo antwortete nicht, und Giulia wollte sich schon einen Narren schelten, als die Stimme erneut erklang. »Seid ganz ruhig, Schwester.«
Dieses Mal hatte Giulia aufgepasst. Es waren Pippos Lippen, die diese Worte geformt hatten. Sie erstarrte. »Pippo«, hauchte sie. »Du kannst sprechen wie jeder andere auch?«
Pippo nickte, wobei er ungerührt fortfuhr, Rosen zu schneiden.
»Dann bist du nicht …« Giulia suchte nach Worten.
»Nein«, flüsterte Pippo. »Ich bin nicht der Trottel, für den mich alle halten.«
»Aber aus welchem Grund verstellst du dich?«, fragte Giulia.
»Ich bin ein Narr unter Narren«, sagte Pippo. »Mit dem Unterschied, dass die anderen Narren nicht wissen, dass sie welche sind. Damit lässt es sich ganz gut leben im Vatikan.«
»Ich kann es kaum glauben«, sagte Giulia. Sie dachte an die vielen Tagen, an denen sie mit Fulvia und Pippo in den Gärten gearbeitet hatte. Und dass sie Fulvia ihr Herz ausgeschüttet hatte, weil sie sicher war, Pippo würde ohnehin kein Wort begreifen. Dann fiel ihr etwas ein. »In der Nacht, als wir aus der Engelsburg geflohen sind, hast du uns das Leben gerettet. Es war kein Zufall, dass du plötzlich um die Ecke kamst, nicht wahr?«
»Keineswegs«, lächelte Pippo. »Ich habe Euch und Schwester Fulvia beobachtet. So habe ich geahnt, dass Ihr Hilfe brauchtet.«
Giulia war noch immer verwirrt. »Warum offenbarst du dich jetzt?«, fragte sie.
»Ihr schwebt in großer Gefahr«, sagte Pippo. »Ihr und der Heilige Vater. Pozzi war nicht der einzige Verschwörer. Da sind noch zwei weitere.«
»Wer ist es?«
»Später«, sagte Pippo. »Jetzt gibt es Wichtigeres.«
Giulia rückte noch ein Stück näher an Pippo heran. »Ich höre«, wisperte sie.
»Als die junge Nonne starb«, berichtete Pippo, »die, deren Platz Ihr nun einnehmt, habe ich ihren Mörder gesehen. Er trug die Uniform der Garde
Weitere Kostenlose Bücher