Die Tochter des Ketzers
weiß, Buße für meine vielen Sünden. Denkst du tatsächlich, Gott straft mich dafür? Wenn es so wäre, dann hieße das doch, er hätte bei allem, was geschieht, seine Hände im Spiel. Dann hieße das auch, er hätte seelenruhig zugesehen, wie man dich geschändet hat. Ist das etwa seine Strafe gewesen? Vielleicht, weil du die Tochter eines Ketzers bist?«
Im Reden blickte er sie nicht an. Erst als er wieder schwieg und sie in ihrer Bewegung innehielt, totenbleich wurde, sich ab- wendete, hob er den Kopf, suchte verlegen ihren Blick. Mit steifen Schritten ging sie zu der kleinen Türe, klopfte daran, um Akil herzulocken, auf dass er sie herauslassen möge.
»Nicht!«, rief er ihr nach, kleinlaut nun, beschämt. »Nicht! Geh nicht weg! Ich wollte nicht, dass ...«
Als sie sich nicht umdrehte, lief er ihr nach, packte sie vorsichtig an der Schulter, drehte sie zu sich um. Das nasse Haar hing ihr ins Gesicht. Er streifte es zurück, durchkämmte es mit seinen Fingern, nicht so ungeduldig, wie sie selbst es getan hatte, sondern behutsam, bedächtig, fast liebevoll. Die einzelnen Strähnen glätteten sich.
»Caterina ...«
Sie sträubte sich gegen seinen Blick, der so flehend war, so um Versöhnung heischend, sie schloss die Augen, um sich davor zu schützen, nicht nur, weil sie ihm die Vergebung verweigern wollte, sondern weil der Blick etwas in ihr berührte, was jäh ihre Lippen beben, ihre Knie erzittern ließ. Da beugte er sich vor, schüchtern und ungelenk, und plötzlich spürte sie seine Lippen auf ihrer Stirne und wie sie zaghaft einen Kuss darauf hauchten. Kurz erstarrte sie noch mehr, fühlte sich entblößt, ertappt, dann schien sie zu erweichen, von jener Wärme bestochen, die sie von den Nächten her kannte, da sie bei ihm lag, und die diesmal doch fordernder war, hitziger. Sie befahl ihr nicht einfach nur, sich zurückzulehnen, sich bei ihm auszuruhen. Sie drängte sie, die Hände zu heben, seine Umarmung zu erwidern, vielleicht auch den Kuss, noch unschuldig, noch brüderlich. Doch die Wärme war es nicht. Sie fühlte seinen Körper, groß und fest – er war plötzlich viel mehr als nur ein weiches Bett für ihren Schlaf –, fühlte seine Finger, wie sie über ihre Wangen streichelten, rau, schwielig. Nicht länger war die Wärme ein weiches Licht, grell wurde sie, verräterisch. Sie suchte nicht nur ihr Gesicht zu besitzen, das Ray geküsst, über das er gestreichelt hatte, sondern schien den ganzen Körper zu inspizieren, ob er sich etwa erregen ließ. Caterina zuckte zusammen. Nicht länger als wohlig empfand sie, was sich da um sie legte, nicht länger als schützend. Es kratzte an ihr, schien noch tiefer graben zu wollen.
»Nicht!«, schrie sie.
Sie wusste nicht mehr, ob sie Ray zurückgestoßen hatte oder ob er von sich aus zurückgewichen war. Plötzlich stand sie vor der engen Kammer, in der sie hausen mussten, und da erst gewahrte sie, dass Akil sie unversperrt gelassen hatte. Keuchend blieb sie stehen, spürte, wie das Schiff wankte, aber vielleicht war es nur sie selbst, die da hin und her gerissen war, nicht etwa sanft schaukelnd, sondern gestoßen. Jede einzelne Bewegung tat ihr weh.
Über Wochen hatte sie sorgfältig die Grenze vor dem Zwischenland gescheut, das zwischen Nüchternheit und Aufruhr erwuchs. Jetzt wurde sie plötzlich von Fragen bestürmt, denen sie bislang erfolgreich ausgewichen war. Warum konnte sie Nacht für Nacht in den Armen eines Schufts wie Ray liegen, seine Nähe genießen und jetzt sogar dieses Gefühle von Wärme und ... Erregung? Warum war sie so neugierig auf Gaspare, gleichwohl er sie zugleich abstieß?
Diese Fragen wuchsen nicht sorgfältig auf ihr Terrain begrenzt, sondern verflochten sich zu einem Gestrüpp, das Altes, beinahe schon Vertrocknetes mit Neuem, frisch Sprießendem verband: Warum musste ihr Vater sterben und sie ganz allein auf der bedrohlichen Welt zurücklassen? Warum hatte er nie zugegeben, dass er selbst aus einem Geschlecht von Ketzern hervorging? Was war das überhaupt – ein Ketzer? Und auch ihr Schatz – wie konnte es jemals von Bedeutung gewesen sein, eine Reliquie zu bewahren, wie ihr inniglichstes Lebensziel? Doch wie sollte sie ohne ein solches weitermachen, worauf ihr Trachten ausrichten?
Sie hatte das unbändige Verlangen zu weinen, und zugleich fühlte sie sich nicht stark genug für Tränen. Fortspülen würden sie sie, sie mitreißen in die Meerestiefe. Und mit jeder Träne würde sie es wieder fühlen – die
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